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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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furchtbar zornig, wenn ihm zu Ohren kam, jemand habe von ihm behauptet, er sei Halbjude. »Der Schuft soll herkommen!« schrie Joachim, dessen Gesicht purpurn anlief. »Ich möchte doch wissen, ob er es wagt, mir ins Gesicht hinein den frechen Schwindel zu wiederholen! So eine Gemeinheit! Einem deutschen Mann die Ehre abzuschneiden!«
    Das schreckliche Gerücht um den Charakterspieler wollte nicht verstummen. Immer wieder wurde gemunkelt: mit einer seiner Großmütter habe was nicht gestimmt. Der deutsche Mann ließ durch Detektive feststellen, wer die infamen Verleumder waren. Mehrere Personen kamen ins Konzentrationslager, weil sie die Großmutter des Tragöden verdächtigt hatten. »Die Gemeinheit darf sich hier nicht mehr ungestraft austoben«, stellte Joachim mit Befriedigung fest. Er besuchte seine einflußreichsten Freunde und Kollegen, um ihnen noch einmal, von Mann zu Mann, ausdrücklich zu versichern, daß er für die tadellose Rasse seiner Ahnen garantieren könne. »Hand aufs Herz«, sagte Joachim zu Höfgen, dem er an einem Sonntagvormittag nicht ohne Feierlichkeit Visite machte. »Bei mir ist alles in Ordnung. Alles wie es sein soll, ich habe mir nicht das mindeste vorzuwerfen.« Er blickte mit treuen Hundeaugen von unten, wie er es zu tun pflegte, wenn er rauhe, aber herzensgute Väter spielte, die sich mit ihren Söhnen erst zanken, dann unter Tränenausbrüchen versöhnen. «Jeden, der das Gegenteil behauptet, muß ich leider einsperren lassen«, sprach mit einem schmalzigen Ton in der Stimme abschließend der deutsche Mann. »Denn wir leben in einem Rechtsstaat.« Dieser Ansicht konnte Hendrik Höfgen sich nur anschließen. Er bot dem Kollegen, der mit so lobenswertem Eifer um seine Ehre kämpfte, Zigarren und köstlichen alten Cognac an. Die Vormittagsstunde zwischen den beiden Künstlern wurde heiter und traulich. Zum Abschied umarmte Joachim den Kollegen Höfgen mit der täppischen Bewegung des Bären, der seinen Gegner in der Umschlingung erdrückt, und er bat darum, Fräulein Lindenthal herzlichst von ihm zu grüßen. – Solche Freunde hatte Höfgen nun – teils interessante Menschen wie Pelz, teils herzensgute wie Joachim. Wo aber lebten die, welche er früher seine Freunde genannt hatte? Was war aus ihnen geworden?
    Barbara hatte ihm aus Paris geschrieben, daß sie wünsche, sich scheiden zu lassen. Die gerichtlichen Formalitäten wurden in Abwesenheit der beiden Ehegatten schnell und leicht durchgeführt. Es bedurfte keines besonderen Scheidungsgrundes: die Richter hatten Verständnis dafür, daß ein Mann in der Stellung und von der Gesinnung Höfgens – prominentes Mitglied des Preußischen Staatstheaters und persönlicher Freund des Herrn Ministerpräsidenten – keinesfalls mit einer Dame verheiratet bleiben konnte, die als Emigrantin im Ausland lebte, aus ihrer staatsfeindlichen Gesinnung kein Hehl machte und übrigens, wie sich neuerdings herausstellte, von unreiner Rasse war. Ihrem politisch schwer kompromittierten Vater, dem Geheimrat, jüdisches Blut nachzusagen wagten selbst die professionellen Lügner der nationalsozialistischen Presse nicht. Was man ihm aber vorzuwerfen hatte, war womöglich noch ärger und unverzeihlicher: er hatte ›Rassenschande‹ getrieben, seine Gattin, die Tochter des Generals, war keine einwandfreie ›Arierin‹ gewesen. Nicht umsonst hatte Barbaras Großvater, der hohe Offizier, von dessen militärischen Verdiensten plötzlich niemand mehr etwas wissen wollte, immer verdächtig liberale Neigungen gehabt. Auch die geistige Angeregtheit der Generalin, die weit über das in Offizierskreisen übliche und statthafte Maß hinausging, erklärte sich nun auf die einfachste, aber peinlichste Weise. Der General war kein deutscher Volksgenosse gewesen, sondern ein Untermensch und Semit: Wilhelm II. hatte es wohlwollend übersehen; aber ein Nürnberger Antisemitenblatt brachte es an den Tag. Eine halbe Semitin war auch die Generalin: das Pogromblatt konnte es beweisen. Was nützten ihr nun eine große, glanzvolle Vergangenheit, ihre fürstliche Schönheit und ihre Würde? Ein schmieriger Skribent und ungewaschener Geselle, der in seinem Leben keinen korrekten deutschen Satz zustande gebracht hatte, durfte feststellen, daß sie nicht zur nationalen Gemeinschaft gehöre.
    Barbara ihrerseits also hatte über dreißig Prozent schlechten Blutes: schon dieser Umstand würde dem deutschen Gericht als Scheidungsgrund genügt haben. Blonde Rheinländer haben Anspruch

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