Mephisto
Tusch, und alle Anwesenden erhoben sich ihr zu Ehren. Der jüdischen Schauspielerin, die man aus Berlin vertrieben hatte, huldigte die Gesellschaft der beiden angelsächsischen Kapitalen. Sie wurde von der englischen Königin empfangen, der Prince of Wales schickte ihr Rosen in die Garderobe, junge amerikanische Dichter schrieben Stücke für sie. Manchmal fragten Journalisten sie, die aus Wien oder aus Budapest herbeigereist kamen, um sie zu interviewen, ob sie nicht Lust hätte, einmal wieder in deutscher Sprache zu spielen. Sie erwiderte: »Nein. Ich habe keine Lust mehr dazu. Ich bin keine deutsche Schauspielerin mehr.« Aber zuweilen dachte sie doch: Was man wohl in Berlin zu meinen neuen Erfolgen sagt? Ob man von ihnen erfährt? Natürlich erfährt man von ihnen. Ich darf hoffen, daß man sich ein wenig ärgert. Denn freuen wird sich dort niemand über meine Siege. Diese hunderttausend Menschen, die mit mir angegeben haben, als ob sie mich glühend liebten: ärgern sollen sie sich doch jetzt wenigstens über mich, damit sie mich nicht ganz und gar vergessen.
Ein großer englischer Film, in dem sie die Hauptrolle spielte, wurde in Berlin vorgeführt. Aber nur ein paar Tage lang, dann gab es Krach. Der Propagandaminister befahl ›spontane Empörung‹. SA-Leute wurden in Zivil gesteckt und ins Kino geschickt. Als das Gesicht der Dora Martin in Großaufnahme auf der Leinwand erschien, begannen die Burschen, die man im ganzen Saale verteilt hatte, zu pfeifen, zu johlen und mit Stinkbomben zu werfen. »Wir wollen keine verdammten Jüdinnen mehr in einem deutschen Kino«, brüllten die als Publikum verkleideten Rowdys. Das Licht mußte angedreht und die Vorstellung abgebrochen werden. In panischem Schrecken verließen die Neugierigen und Verwegenen, die sich zu der suspekten Darbietung eingefunden hatten, das Haus. Wer von den Fliehenden jüdisch wirkte – und es waren ziemlich viele Juden gekommen, um Dora Martin zu sehen –, wurde festgehalten und verprügelt. Das Propagandaministerium ließ in London die Nachricht verbreiten, die liberal gesinnte deutsche Regierung hätte den Film passieren lassen, das Berliner Publikum aber dulde dergleichen nicht mehr. Die öffentliche Entrüstung sei unmittelbar, heftig und übrigens sehr begreiflich gewesen. Von nun ab müsse jeder Film, in dem die Schauspielerin Martin auftrete, verboten werden. – Da sie erfuhr, daß man um ihretwillen – oder doch anläßlich ihres bewegten Schattenbildes – Juden mißhandelt hatte, krümmte sich Dora Martin vor Ekel, als wäre ihr übel von einer vergifteten Speise. »Diese Schufte«, murmelte sie, und aus ihren Augen schlugen die schwarzen Flammen eines großen Zornes. »Diese gemeinen, niederträchtigen Schufte!« Und wie sie die Fäuste schüttelte, glich sie – das Gesicht von der rötlichen Mähne umweht – einer jener heroischen Frauengestalten ihres Volkes, die zur Rache rufen. –
In vielen Städten lebten sie, in vielen Ländern suchten sie Zuflucht: Oskar H. Kroge, zum Beispiel, hatte sich vorläufig in Prag niedergelassen. Er war kein Jude und kein Kommunist, aber ein alter Vorkämpfer der Literatur: er glaubte an das Theater als moralische Anstalt und an die ewigen Ideale der Gerechtigkeit und der Freiheit, so vielen Enttäuschungen zum Trotz wollte er nicht lassen von seinem naiven und zuversichtlichen Pathos – für ihn war kein Platz gewesen im neuen Deutschland. Entschlossen, an die edlen Traditionen seiner guten Frankfurter Zeit wieder anzuknüpfen, machte er sich in Prag sofort auf die Suche nach Menschen, die für seinen Enthusiasmus Verständnis hatten und ihm ein paar tausend Tschechenkronen zur Verfügung stellten; denn er wollte in einem Vorstadtkeller eine literarische Bühne eröffnen. Er fand die Geldgeber – sie gaben wenig genug –; er fand den Keller und ein paar junge Schauspieler und ein Stück, in dem sehr viel von der ›Menschheit‹ und von der ›Morgenröte einer besseren Zeit‹ die Rede war, und er arbeitete mit den jungen Schauspielern, und das Stück kam heraus. Schmitz, der seinem Freunde treu geblieben war, hatte sich um das Finanzielle zu kümmern, während Kroge – hartnäckiger Idealist, eigensinniger Schwärmer für das Höchste und Schönste – unbehelligt in der reinen Sphäre der Kunst bleiben wollte. Ach, nicht immer durfte Schmitz ihn dort oben lassen. Es fehlte am Nötigsten, niemals hätte Kroge – bürgerlicher alter Bohemien, der wohl Geldschwierigkeiten, aber nie die
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