Mephisto
abendliche Promenade machte, sah Juliette in dem Strom von Menschen, der sich von der Madeleine zur Place de la Concorde bewegte, Barbara an sich vorübergehen. Hendriks Gattin, die so lange der Gegenstand von Juliettes eifersüchtigen oder mitleidigen Betrachtungen gewesen war, schritt eilig und in Gedanken vertieft. Juliette berührte ganz leicht mit den Fingerspitzen ihren Ärmel und sagte mit ihrer tiefen, rauhen Stimme: »Bonsoir, Madame.« Dabei neigte sie ein wenig das Haupt. Als die Angeredete verwundert aufblickte, war die Negerin schon vorüber. Barbara sah nur noch ihren breiten Rücken, und auch der wurde schnell durch andere Rücken, andere Leiber zugedeckt. – – In vielen Städten und in vielen Ländern … Manche lebten in Dänemark, manche in Holland, manche in London oder in Barcelona oder in Florenz. Andere waren nach Argentinien oder nach China verschlagen worden.
Nicoletta von Niebuhr aber, Nicoletta Marder, fand sich eines Tages wieder in Berlin ein. Mit ihren roten Hutkoffern, die recht rissig und brüchig geworden waren, erschien sie in Hendrik Höfgens Wohnung am Reichskanzlerplatz. »Hier bin ich«, sagte sie, und versuchte ihre Augen so blank zu machen, wie es nur irgend ging. »Ich konnte es nicht mehr aushalten, dort unten. Theophil ist wunderbar, ein Genie, ich liebe ihn mehr denn je. Aber er hat sich außerhalb der Zeit und ihrer realen Gegebenheiten gestellt. Er ist ein Träumer geworden, ein Parsifal – ich ertrage das nicht. Verstehst du es, Hendrik, daß ich das nicht ertrage?«
Hendrik verstand es. Er war ganz und gar gegen Träumer und besaß seinerseits durchaus den notwendigen Kontakt zu der Zeit und ihren Gegebenheiten. »Diese ganze Emigration ist eine Angelegenheit für Schwächlinge«, erklärte er streng. »Diese Leute in ihren südfranzösischen Badeorten kommen sich wie Märtyrer vor, sind aber nur Deserteure. Wir hier stehen an der Front, die dort draußen drücken sich in die Etappe.«
»Ich will unbedingt wieder Theater spielen«, sprach Nicoletta, die ihren Gatten verlassen hatte. Hendrik meinte, das werde ohne gar zu viele Schwierigkeiten einzurichten sein. »Am Staatstheater kann ich ziemlich alles durchsetzen, wozu ich Lust habe. Cäsar von Muck – nun ja, er ist noch der Intendant. Aber der Ministerpräsident mag ihn nicht, und der Propagandaminister deckt ihn nur noch aus Prestigegründen. Es hat sich herumgesprochen, daß unser Cäsar ein miserabler Theaterleiter ist. Er macht ein langweiliges Repertoire, am liebsten möchte er immer nur seine eigenen Stücke aufführen lassen. Von Schauspielern versteht er auch nichts. Das einzige, was er kann, ist ein enormes Defizit machen.«
Die wiedergekehrte Nicoletta durfte damit rechnen, am Staatstheater ein Engagement zu bekommen. Zunächst aber wollte Hendrik in Hamburg mit ihr gastieren, und zwar in dem Stück, das nur zwei Personen hatte und mit dem die beiden auf Tournee in den Ostsee-Badeorten gewesen waren, unmittelbar vor der Hochzeit Höfgens mit Barbara Bruckner. Das Hamburger Künstlertheater war stolz, sein ehemaliges Mitglied, das inzwischen so berühmt und ein Freund der Macht geworden war, nun als Gast bei sich zu empfangen. Der neue Leiter des Institutes, Kroges Nachfolger, ein Herr namens Baldur von Totenbach, erwartete Höfgen und seine Begleiterin auf dem Bahnhof. Herr von Totenbach war aktiver Offizier gewesen, hatte viele Schmisse im Gesicht und stahlblaue Augen wie Herr von Muck, sprach auch sächsisch wie dieser. Er rief: »Willkommen, Kamerad Höfgen!« – als ob auch Hendrik die ehrenwerte Vergangenheit eines Offiziers hätte, anstatt die verdächtige eines Kulturbolschewisten. »Willkommen!« riefen auch verschiedene andere Menschen, die mit Herrn von Totenbach zur Bahn geeilt waren, um den Kollegen Höfgen zu begrüßen. Unter ihnen war die Motz, sie umarmte Hendrik und hatte Tränen echter Ergriffenheit in den Augen. »Wieviel Zeit vergangen ist!« rief die wackere Frau und ließ Gold im Inneren des Mundes funkeln. »Und was wir alles erlebt haben!« Sie ihrerseits hatte ein Kind bekommen, Nicoletta und Hendrik erfuhren es bald: ein kleines Mädchen – späte, eigentlich schon etwas überraschende Frucht ihrer langjährigen Beziehung zum Väterspieler Petersen. »Ein deutsches Mädchen«, sagte sie, »wir haben es Walpurga genannt.«
Petersen hatte sich gar nicht verändert. Sein Gesicht wirkte immer noch etwas nackt, da ihm der Schifferbart fehlte. Seinem unternehmungslustigen
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