Mephisto
Wesen war anzumerken, daß er es sich keineswegs abgewöhnt hatte, das sauer verdiente Geld zu verschwenden und den jungen Mädchen nachzusteigen. Wahrscheinlich liebte ihn die Motz immer noch mehr als er sie. – Der schöne Bonetti erschien in schwarzer SS-Uniform und sah blendend aus: es ließ sich verstehen, daß er nun noch zahlreichere Liebesbriefe aus dem Publikum erhielt als früher. – Die Mohrenwitz war nicht mehr beim Theater. »Sie hat ja jüdisches Blut«, zischelte die Motz hinter der vorgehaltenen Hand und wurde dann von einem lasterhaften kleinen Lachen geschüttelt, als hätte sie etwas Obszönes geäußert. Rolf Bonetti machte ein sehr angewidertes Gesicht – vielleicht weil er an all die Rassenschande dachte, die er einst mit Rahel getrieben hatte. Das dämonische junge Mädchen – so viel wurde Hendrik noch mitgeteilt – hatte einen Selbstmordversuch gemacht, als die Unreinheit ihres Blutes bekannt geworden war, und schließlich einen tschechoslowakischen Schuhfabrikanten geheiratet. »Was das Materielle betrifft, wird es ihr wohl ganz gut gehen, da drüben – im Ausland …« vermutete die Motz mit dem Akzent der Verachtung, und ihr Daumen deutete nach hinten, über die Schulter, als läge dort, in irgendeiner häßlichen Ferne, ›das Ausland‹.
Die neuen Mitglieder des Ensembles – blonde, etwas ungeschlachte Burschen und Mädel, die eine derbe Lustigkeit mit straffer militärischer Disziplin wacker vereinigten – ließen sich dem großen Höfgen vorstellen und bezeigten ihm jede nur denkbare Devotion. Er war der Märchenprinz, der schöne Verzauberte, der Neid und Bewunderung einsteckt als den Tribut, der ihm zukommt. Ja, er war herniedergestiegen, für eine kleine Weile zurückgekehrt zu der niedrigen Stätte, von welcher er ausgegangen. Übrigens zeigte er sich leutselig und ließ sich dazu herbei, der Motz den Arm um die Schulter zu legen. »Ach, du bist doch ganz der alte geblieben«, schwärmte sie und preßte seine Hand. Petersen ließ sich vernehmen: »Hendrik war immer ein famoser Kamerad« – während Herr von Totenbach abschließend, nicht ohne eine gewisse Strenge erklärte: »Im neuen Deutschland gibt es nur Kameraden, auf welchem Platz sie auch immer stehen mögen.«
Hendrik äußerte den Wunsch, Herrn Knurr zu begrüßen – eben jenen Bühnenportier, der immer schon das Hakenkreuz unter dem Rockaufschlag versteckt getragen hatte, und an dessen Loge Höfgen, der ›Kulturbolschewist‹, so ungern und mit so schlechtem Gewissen vorübergegangen war. Würde das alte Parteimitglied nicht vor Freude beben, wenn es nun dem Freund und Favoriten des Ministerpräsidenten die Hand schütteln durfte? – Zu seiner Überraschung wurde Höfgen von Herrn Knurr ziemlich kühl empfangen. In der Portiersloge war kein Führer-Bild zu entdecken, obwohl es doch nun statthaft und sogar erwünscht gewesen wäre. Als Hendrik sich bei Herrn Knurr nach seinem Befinden erkundigte, murmelte dieser etwas zwischen den Zähnen, was unfreundlichen Klang hatte, und der Blick, den er auf Höfgen richtete, schien voll Gift. Es war deutlich: Herr Knurr war im tiefsten enttäuscht von seinem Führer-Erlöser und der ganzen herrlichen nationalen Bewegung – in all seinen Hoffnungen bitterlich betrogen, wie so viele. Für Höfgen, Freund des Fliegergenerals, bedeutete es also eine Peinlichkeit, wie eh und je, an der Portiersloge vorbeizugehen: sein Verhältnis zu Herrn Knurr hatte sich nicht gebessert.
Eine Erleichterung empfand Hendrik, als er feststellen durfte, daß von den kommunistischen Bühnenarbeitern, denen er früher gern mit geballter Faust und dem Rot-Front-Gruß begegnet war, sich keiner mehr im Theater befand. Er wagte es nicht, sich nach ihrem Verbleib zu erkundigen. Vielleicht waren sie erschlagen, vielleicht eingesperrt, vielleicht in der Emigration …
Abends war das Haus ausverkauft, die Hamburger jubelten ihrem alten Liebling zu, der in Berlin so gewaltig Karriere gemacht hatte: erst unter dem Professor, dann unter dem dicken Ministerpräsidenten. Von Nicoletta war man allgemein enttäuscht. Man fand sie starr, unnatürlich und sogar etwas unheimlich. Wirklich hatte sie das Theaterspielen ziemlich verlernt. Ihre Haltung war steif geworden, und ihre Stimme hatte einen merkwürdig hohlen, klagenden Klang bekommen. Es war, als ob etwas in ihr zugleich erfroren und zerbrochen wäre. Übrigens nahm das Publikum jetzt auch an ihrer großen Nase Anstoß. Ob sie nicht doch etwas jüdisches
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