Mephisto
verzichtete er plötzlich auf alle Beschönigungen und Entschuldigungen; eilte, das Antlitz von einer hellen, nervösen Röte übergossen – die jedoch keine Schamröte war – und geschüttelt von Lachen durchs Zimmer, um immer wieder, halb klagend und halb triumphierend, auszurufen: » Bin ich nicht ein Schurke? Bin ich nicht ein ganz unwahrscheinlicher Schurke?« Der Freundeskreis amüsierte sich, Josy klatschte sogar in die Hände vor Vergnügen. Nur der junge Ritter ohne Furcht und Tadel bekam ein strenges, abweisendes Gesicht, während Johannes Lehmann, dessen Augen das fette Schimmern von Öl hatten, wehmütig lächelte und Angelika traurig und bestürzt auf ihren Freund schaute, um dessentwillen sie so viel Tränen vergossen hatte.
Natürlich sprach Hendrik weder von der Wucht der Niagarafälle noch von der eigenen unwahrscheinlichen Schurkenhaftigkeit, wenn Gäste da waren, die in gar zu intimen Beziehungen zur Macht standen, oder gar selber einen Teil von ihr bedeuteten. Schon in der Gegenwart des Grafen Donnersberg hütete der Intendant sich vor unvorsichtigen Reden. Die äußerste Vorsicht aber wußte er mit der strahlendsten Heiterkeit zu verbinden, wenn Lotte Lindenthal ihm die Ehre ihres Besuches gab.
Es geschah nicht ganz selten, daß die ährenblonde mütterliche Frau in Hendrik-Hall für eine Partie Tischtennis oder ein Tänzchen mit dem Hausherrn erschien. Was für ein Fest war dies stets! Mutter Bella ließ auffahren, was die Vorratskammern an Feinstem boten, Nicoletta erging sich in scharf akzentuierten Komplimenten über die veilchenblauen Augen der hohen Frau, Pierre Larue kümmerte sich nicht mehr um den kleinen Böck, und sogar Vater Köbes warf durch die Türritze einen Blick auf die hochbusige Dame, die mit dem silbrigen Gelächter jungmädchenhaften Übermutes die Räume erfüllte.
Wer aber entstieg der riesenhaften Limousine, die nun, mit dem bedrohlichen Geräusch eines Flugzeuges, unter dem Portal von Hendrik-Hall hielt? Vor wem flog die Haustüre auf? Wer lärmte säbelrasselnd im Vorraum? Wer schob seinen enormen Bauch, der über den Säulenbeinen schwankte, seine majestätisch vorgewölbte, vor Orden blitzende Brust in die ehrfurchtsvoll erstarrte Versammlung? Er war es, der Dicke, der mit dem Schwerte am göttlichen Throne die Wacht hält. Er kam, um seine Lotte abzuholen und um seinem Mephisto eben mal guten Abend zu wünschen.
Die Lindenthal flog ihm an den Hals. Frau Bella aber, der beinah übel wurde vor Stolz und Aufregung, brachte hervor – und es klang wie ein Stöhnen –:
»Exzellenz – Herr Ministerpräsident –, darf ich Ihnen irgend etwas kommen lassen? Eine kleine Erfrischung? Vielleicht ein Glas Sekt …?«
Viele Leute trafen sich in Hendrik-Hall, angezogen durch den Ruhm und die Liebenswürdigkeit des Hausherrn, die soignierte Küche, den Weinkeller, die Tennisplätze, die ausgewählt guten Grammophonplatten, den ganzen imposanten Luxus des Milieus. Mancherlei Personen verbrachten hier die angenehmsten Mittags-, Nachmittags- und Abendstunden: Schauspieler und Generäle, Lyriker und hohe Beamte, Journalisten und exotische Diplomaten, Mätressen und Komödiantinnen. Ein paar Menschen indessen, die in vergangenen Zeiten recht intime Beziehungen zu Hendrik Höfgen gehabt hatten, nahmen nicht teil an diesem heiterüppigen Treiben. Die Generalin ließ sich nicht sehen in Hendrik-Hall, vergeblich wartete Frau Bella auf ihre Visitenkarte. Die alte Dame hatte ihr Gut verkaufen müssen und lebte in einer kleinen Wohnung nicht weit vom Tiergarten. Mehr und mehr verlor sie den Kontakt zu der Berliner Gesellschaft, in der sie einst eine so brillante Rolle gespielt hatte. »Mir liegt nichts daran, in Häusern zu verkehren, wo ich Begegnungen mit Mördern, Sittlichkeitsverbrechern oder Irrsinnigen ausgesetzt bin«, erklärte sie stolz und ließ klappernd die Lorgnette sinken, durch die sie ihren Gesprächspartner fixiert hatte. Vielleicht vermutete sie, daß man auch in Hendrik-Hall Gefahr laufe, kriminelle oder pathologische Figuren anzutreffen – ein nicht nur unbegründeter, sondern sogar frevelhafter Verdacht, da er sich auf ein Haus bezog, in dem die Regierungsmitglieder ein und aus gingen.
Noch jemand, der sich von der Besitzung des Intendanten fernhielt, war Otto Ulrichs. Er wurde nicht eingeladen, und er hätte die Einladung, wenn eine solche an ihn ergangen wäre, wohl kaum akzeptiert. Er war stark beschäftigt, und zwar beschäftigt auf eine Art, welche die
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