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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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seine Gesinnung bestand in dem unerschütterlichen Glauben, daß aus ihnen, irgendwann einmal, doch noch etwas Vernünftiges werden könnte. Er überwand seine gramvolle Apathie. »Wenn man Zeuge dieses Schlimmsten gewesen ist«, sagte er, »dann hat man nur noch die Wahl: sich umzubringen oder leidenschaftlicher als je vorher weiterzuarbeiten.« Er war ein einfacher und tapferer Mensch. Seine Nerven waren stark und erholten sich von dem Schock. Er arbeitete weiter.
    Es bereitete ihm keine Schwierigkeit, die Beziehung zu den illegal-oppositionellen Kreisen herzustellen. Unter den Arbeitern und Intellektuellen, deren Haß auf den Faschismus so genau durchdacht und so leidenschaftlich war, daß er sich auch unter den höchst gefährlichen und – wie es schien – fast hoffnungslosen Bedingungen der Stunde bewährte, hatte er viel Freunde. Das Mitglied der Preußischen Staatstheater beteiligte sich an unterirdischen Aktionen gegen das Regime. Ob es um heimliche Zusammenkünfte, ob es um die Herstellung und Verbreitung verbotener Flugblätter, Zeitungen und Broschüren ging, oder um Sabotageakte in den Fabriken, bei den öffentlichen Festlichkeiten der Diktatur, bei Rundfunkübertragungen, Filmvorstellungen: der Schauspieler Otto Ulrichs gehörte zu denen, welche die Vorbereitungen entscheidend beeinflußten und bei den Handlungen ihr Leben riskierten.
    Er nahm all diese Demonstrationen des antifaschistischen Widerstandes sehr ernst, und er schätzte die psychologische Wirkung, die sie auf eine eingeschüchterte, von Angst gelähmte Öffentlichkeit ausüben mußten, hoch ein. »Wir machen die Regierenden unruhig, und wir zeigen den Millionen, die Feinde der Diktatur geblieben sind, aber sich ihre Gesinnung heute kaum noch einzugestehen wagen, daß der Wille zur Befreiung nicht ausgelöscht ist und sich trotz der Überwachung durch eine Armee von Spitzeln betätigen kann.« So dachte, sprach und schrieb der Schauspieler Ulrichs. Indessen vergaß er nie, daß die kleinen Aktionen nicht das Wichtigste waren und eigentlich nur ein Mittel zum Zweck. Der Zweck, das Ziel, die große Hoffnung blieb: die verstreuten Kräfte des Widerstandes zu vereinigen, die einander widersprechenden Interessen einer sozial und gesinnungsmäßig so vielfach zusammengesetzten Opposition zu sammeln, die Front herzustellen, auszubauen, zu aktivieren –: die Volksfront gegen die Diktatur. »Darauf kommt es an, und nur darauf«, erkannte der Schauspieler Ulrichs.
    Deshalb konspirierte er nicht nur mit seinen engeren Partei- und Gesinnungsfreunden. Noch mehr war ihm daran gelegen, die Verbindung mit oppositionellen Katholiken, früheren Sozialdemokraten oder parteilosen Republikanern herzustellen. Der Kommunist begegnete zunächst dem Mißtrauen der bürgerlich-liberalen Kreise. Seiner eifervollen und aufrichtigen Beredsamkeit gelang es meistens, die Bedenken zu überwinden. »Aber ihr seid so wenig wie die Nazis für die Freiheit!« hielten die Demokraten ihm vor. Er antwortete: »Doch! Wir sind für die Befreiung. Über die Ordnung, die nachher aufzurichten wäre, wird man sich einigen.« – »Ihr habt keine Vaterlandsliebe«, sagten ihm patriotische Republikaner. »Ihr kennt nur die Klasse, und die ist international.« – »Wenn wir unser Vaterland nicht liebten«, antwortete Otto Ulrichs, »könnten wir dann die so sehr hassen, die es erniedrigen und verderben? Und würden wir dann täglich unser Leben aufs Spiel setzen, um es zu befreien, unser Vaterland?« –
    In den ersten Wochen seines illegalen Dienstes hatte Ulrichs einmal den Versuch gemacht, Hendrik Höfgen ins Vertrauen zu ziehen. Aber der Intendant wurde ängstlich, nervös und gereizt. »Ich will von diesen Dingen nichts wissen«, sagte er hastig. »Ich darf von ihnen nichts wissen – verstehst du mich? Ich mache beide Augen zu, ich sehe nicht, was du treibst. Keinesfalls aber darf ich eingeweiht sein.«
    Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß er unbelauscht war, versicherte er dem Freund noch mit gepreßter Stimme, wie schwierig und peinvoll es für ihn sei, sich so andauernd und konsequent verstellen zu müssen. »Aber ich habe mich nun einmal zu dieser Taktik entschlossen, weil ich sie für die richtigste und wirkungsvollste halte«, raunte Hendrik und versuchte es noch einmal mit den Verschwörerblicken, die jedoch von Ulrichs nicht mehr erwidert wurden. »Es ist keine bequeme Taktik, aber ich muß sie durchhalten. Ich befinde mich mitten im Lager des Feindes. Von innen

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