Mephisto
blieb, enervierten und beleidigten ihn in einem Grade, dessen Unvernünftigkeit er sich in Momenten eines ruhigeren Nachdenkens selbst zugeben mußte.
Barbara ritt vor dem ersten Frühstück, und wenn sie, gegen neun Uhr, im Speisezimmer erschien, brachte sie von draußen den Duft und Atem eines frischen Morgens mit. Hendrik aber saß, das Gesicht in beide Hände gestützt, müde und mißmutig in seinem Hausgewand, das immer zerschlissener wurde, und sah fahl aus. Um diese Stunde konnte er sich noch zu keinem aasigen Lächeln, zu keinem verführerischen Schillern der Augäpfel zwingen. Hendrik gähnte.
»Du scheinst mir noch halb zu schlafen!« sagte Barbara wohlgelaunt und goß den Inhalt eines weichen Eis ins Weinglas; denn auf diese Manier pflegte sie ihre Eier zum Frühstück zu essen: aus dem Glase und gewürzt mit viel Salz und Pfeffer, scharfer englischer Sauce, Tomatensaft und ein wenig Öl.
Hendrik versetzte pikiert: »Ich bin ziemlich wach und habe sogar schon gearbeitet – zum Beispiel mit dem Kolonialwarenhändler telephoniert, der ungeduldig wegen unserer großen Rechnung wird. Entschuldige, daß ich nicht früh morgens schon den Anblick einer festlichen Frische biete. Wenn ich jeden Tag spazierenreiten würde wie du, sähe ich wahrscheinlich reizvoller aus. Aber ich fürchte, zu so eleganten Gewohnheiten wirst sogar du mich nicht mehr erziehen können. Ich bin zu alt, um mich noch zu ändern, und ich komme aus Kreisen, in denen so nobler Sport nicht üblich ist.«
Barbara, die sich die gute Laune nicht verderben lassen wollte, zog es vor, seine Rede wie etwas humoristisch Gemeintes aufzufassen. »Ausgezeichnet triffst du diesen Ton«, lachte sie. »Man könnte beinahe glauben, es wäre dir ernst mit ihm.« Hendrik schwieg zornig; um einen repräsentativeren Eindruck zu machen, klemmte er sich das Monokel vors Auge.
Übrigens kränkte Barbara ihn gleich wieder, sicherlich ohne es beabsichtigt zu haben. Während sie mit gutem Appetit ihr gewürztes Ei aus dem Glase löffelte, sagte sie: »Du solltest es auch mal versuchen, dein Ei auf diese Weise zu essen. Ich finde, einfach so aus der Schale und ohne das scharfe Zeug, schmeckt es langweilig …« Nach einer Pause fragte Hendrik, mit einer vor Gereiztheit bebenden Höflichkeit: »Darf ich dich auf etwas aufmerksam machen, meine Liebe?« Sie erwiderte kauend: »Aber gewiß doch.«
Hendrik trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, reckte das Kinn in die Höhe und kniff die Lippen zusammen, was seiner Miene den gouvernantenhaften Zug gab. »Deine naive und anspruchsvolle Art«, sprach er langsam, »dich zu verwundern oder zu mokieren, wenn irgend jemand irgend etwas anders macht, als es im Hause deines Vaters oder deiner Großmama üblich ist, könnte manchen, der dich weniger genau kennt, als ich es tue, erstaunen oder sogar abstoßen.«
Barbaras Augen, die eben noch von einer frohen Helligkeit gewesen waren, wurden nachdenklich und bekamen den forschenden Blick. Nach einem kurzen Schweigen erkundigte sie sich leise: »Wie kommst du darauf, das gerade jetzt zu bemerken?«
Er erwiderte, wobei er immer noch auf strenge Art mit den Fingern trommelte: »Es ist allgemein üblich, ein weiches Ei aus der Schale und mit Salz zu essen. In der Villa Bruckner speist man es aus dem Glase und mit sechs verschiedenen Gewürzen. Das ist sicher sehr originell. Aber ich sehe keinen Grund, sich über jemanden lustig zu machen, der an solche Originalitäten nicht gewöhnt ist.«
Barbara schwieg, schüttelte verwundert den Kopf und stand auf. Er schaute ihr nach, wie sie sich, mit ihrem schlendernd nachlässigen, etwas schiebenden Gang, langsam durchs Zimmer bewegte. Plötzlich mußte er denken: Es ist sonderbar – nun hat sie die hohen Stiefel an, die mir so gut gefallen, aber an ihren Beinen wirken sie nicht so wie ich es mir wünsche und wie ich es brauche. Bei ihr sind die Stiefel der korrekte Teil eines sportlichen Kostüms. Bei Juliette bedeuten sie etwas anderes …
In Barbaras Gegenwart den Namen Juliette zu denken, bereitete ihm einen bösartigen Triumph, der ihn für manche Kränkung entschädigte. Reite du nur spazieren, dachte er höhnisch. Mache du dir nur einen Cocktail aus dem weichen Ei! Du weißt doch nicht, wen ich heute nachmittag vor der Probe treffe. Während Barbara, stolz und schweigend, das Zimmer verließ, empfand er die ordinäre Genugtuung des Ehemanns, der seine Frau betrügt und stolz darauf ist, daß sie ihm nicht dahinterkommt.
Weitere Kostenlose Bücher