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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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weiche Stimme mehr hatte, sondern einfach schrie, drohte mit Polizei und Verhaftung; Oskar H. Kroge fauchte wie ein alter Kater, während Nicoletta wie ein Raubvogel zurückhackte; Frau von Herzfeld versuchte es mit vernünftigem Zureden, aber sie verstummte vor Nicolettas schrillem Hohn und eisigem Pathos. Alle redeten durcheinander: Schmitz beklagte das ausverkaufte Haus, Kroge sprach von Mangel an künstlerischem Verantwortungsgefühl und an menschlichem Anstand, und die Herzfeld bezeichnete Nicolettas Betragen als den Akt einer verspäteten und degoutanten Pubertätshysterie. Barbara inzwischen hatte unbemerkt das Hotel verlassen. Nicoletta reiste ab, ohne sich von Barbara verabschiedet zu haben.
     
    Nicolettas jähes Verschwinden bedeutete für Barbara nicht nur Schmerz, sondern auch beinah etwas wie Erleichterung. Die Nachricht von der Hochzeit, die ›in aller Stille‹ von Nicoletta und Theophil Marder gefeiert worden war, empfing sie ohne große Bewegtheit. Arme Nicoletta, war eigentlich alles, was sie noch dachte. Ihr Herz begann schon, auf den problematischen Genuß einer Freundschaft zu verzichten, von der es so viele Jahre lang beschäftigt, beglückt und gequält worden war. An eine Zukunft mit Nicoletta konnte Barbara nicht mehr denken; indessen liebte sie es, sich der gemeinsamen Vergangenheit zu erinnern und sich selber die Geschichte einer Freundschaft zu erzählen, die durch so phantastisch-sinnvolle Umstände zustande gekommen war und sich nach so wunderlichen Gesetzen entwickelt hatte.
    Willy von Niebuhr, der Vater, dessen Leben unruhvoll verlaufen war – wenn auch vielleicht nicht ganz so abenteuerlich, wie seine Tochter es darzustellen pflegte –, hatte sich niemals viel um Nicoletta gekümmert. Als er in China starb, war das Mädchen dreizehn Jahre alt. Damals war sie eben aus einem Internat in Lausanne mit erheblichem Skandal entlassen worden. Niebuhr, der wußte, daß er nicht mehr lang zu leben hatte, schrieb aus Shanghai an Bruckner, mit dem er als Student befreundet gewesen war: ›Kümmere dich um das Kind!‹ Der Geheimrat beschloß, das Mädchen für ein paar Wochen als Logierbesuch in sein Haus zu nehmen, bis ein neues geeignetes Internat, oder eine andere Möglichkeit der Unterbringung für sie ausfindig gemacht sein würde. So erschien Nicoletta im Hause Bruckner: ein gravitätisch-ernsthaftes, kluges und eigensinniges junges Geschöpf mit großer, gebogener Nase, leuchtenden Katzenaugen, einem mageren, biegsamen Körper und der stolzen, siegesgewissen Haltung des Kopfes. Dem Geheimrat war an seinem jungen Gast alles unheimlich: der verlockende und drohende Blick, die übermäßig deutliche, schneidend akzentuierte Sprechweise, die diabolische Korrektheit des Betragens. Er fand es fesselnd, aber auch etwas peinlich, die sonderbare Tochter eines interessanten Freundes so nahe bei sich zu haben und den ganzen Tag beobachten zu müssen.
    Es überraschte ihn – aber er verhinderte es nicht –, daß Barbara sich mit einer so heftigen Freundschaft an Nicoletta anschloß. Was zog sein Kind zu diesem fremden, krassen, wunderlichen Mädchen? Liebevoll sann der Vater darüber nach. Ihm schien es, daß Barbara in Nicoletta den Menschen suchte, der ihr selber am entschiedensten unähnlich war … Immerhin hielt der Vater diese Freundschaft für bedenklich genug, daß er danach trachtete, Nicoletta aus seinem Hause zu entfernen. Sie wurde einer Pension an der französischen Riviera anvertraut; aber auch dort gab es bald wieder Skandal, Nicoletta kehrte in die Brucknersche Villa zurück. – Sie wurde entfernt, und sie kam wieder: dieses Spiel wiederholte sich häufig. Von vielen Abenteuern, die ihr junges, zugleich feierlich und unbedenklich geführtes Leben mit sich brachte, erholte sie sich stets bei Barbara. Barbara erwartete sie immer, öffnete immer ihre Türe, wenn Nicoletta anklopfte; der Geheimrat sah es, wunderte sich, grämte sich vielleicht, aber duldete es. Übrigens durfte er feststellen, daß seine schöne und gescheite Tochter, während sie an ihrer Freundin sonderbarer Existenz so treuen Anteil nahm, ihr eigenes Leben keineswegs vernachlässigte. Sie beschäftigte sich, spielerisch und nachdenklich, mit tausend Dingen; sie hatte Freunde, für deren Launen und Sorgen sie viel geduldige Sympathie aufbrachte; sie war leichtsinnig und versonnen; halb Amazone und halb sanfte Schwester; kühl und gütig, sehr spröde und stets bereit zu Zärtlichkeiten, die eine bestimmte Grenze

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