Mephisto
nur mäßig, Namen und Titel von Fräulein Lindenthals Buhlen zu erfahren«, sagte er, ohne Miklas eines Blickes zu würdigen. »Übrigens würde es eine lange Liste werden. Fräulein Lindenthal amüsiert sich nicht nur mit dem Fliegeroffizier.«
Miklas, die Fäuste geballt und den Kopf geduckt, stand in der kampfbereiten Haltung eines Gassenjungen, der sich gleich, zur großen Rauferei, auf den Gegner stürzen wird. Unter einer wütend gesenkten Stirne schienen die hellen Augen erblindet zu sein vor Zorn. »Hüten Sie sich«, keuchte er, und alle im Lokal erschraken über seine frevlerische Kühnheit. »Ich dulde es nicht, daß eine Dame öffentlich beleidigt wird, nur weil sie der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angehört und die Freundin eines deutschen Helden ist. Ich dulde es nicht!« knirschte er mit den Zähnen, und er tat ein paar drohende Schritte.
»Sie dulden es nicht!« wiederholte Hendrik und lächelte diabolisch. »Ei, ei«, fügte er noch höhnisch hinzu – woraufhin Miklas sich nun wirklich auf ihn stürzen wollte: er wurde aber zurückgehalten von Otto Ulrichs, der ihn kräftig an den Schultern packte. »Du bist wohl besoffen!« schrie Ulrichs und schüttelte Miklas, der hervorbrachte: »Ich bin nicht besoffen, im Gegenteil! Aber vielleicht bin ich der einzige hier im Raum, der noch einen Rest von Ehrgefühl im Leibe hat! Niemand in diesem verjudeten Milieu scheint etwas dabei zu finden, wenn man eine Dame beschimpft …«
»Genug!« Dieser metallisch klirrende Ruf kam von Höfgen, der hoch aufgerichtet stand. Alle sahen ihn an. Er sprach mit einer fürchterlichen Langsamkeit: »Das glaube ich wohl, mein Lieber, daß Sie jetzt nicht besoffen sind. Sie werden sich nicht auf mildernde Umstände berufen können. Unter dem verjudeten Milieu, in dem Sie sich jetzt noch befinden, werden Sie nicht lange mehr zu leiden haben – verlassen Sie sich auf mich!« Und Höfgen verließ mit steifen, kleinen Schritten das Lokal.
»Es läuft einem eiskalt über den Rücken«, flüsterte die Motz in einer ehrfurchtsvolle Stille. Aus welcher Ecke aber hörte man nun dieses leise Weinen? Die Souffleuse Efeu hatte ihren schweren Oberkörper auf den Tisch sinken lassen, und zwischen ihren dicken Fingern rannen die Tränen.
Kroge, welcher der skandalösen Szene im H. K. nicht beigewohnt hatte, war nicht ohne weiteres geneigt, Höfgens Wunsch nach fristloser Entlassung des jungen Schauspielers zu entsprechen. Frau von Herzfeld und Hendrik vereinigten ihre Beredsamkeit, um seine juristischen, politischen und menschlichen Bedenken zu zerstreuen. Der Direktor schüttelte das besorgte Katergesicht, machte Stirnfalten, ging nervös auf und ab und brummte: »Ihr mögt recht haben – ich gebe es ja zu –, unleidliches Betragen dieses Burschen … Aber immerhin: es widerstrebt mir, einen mittellosen und kranken Menschen Knall und Fall auf die Straße zu setzen …« Hendrik und Hedda ereiferten sich, diese unentschiedene, Kompromissen zugeneigte Haltung habe verdammte Ähnlichkeit mit der lahmen und feigen Art, die von den Regierungsparteien der Weimarer Republik dem unverschämten Nazi-Terror gegenüber an den Tag gelegt wurde. »Wir müssen dem Mörderpack zeigen, daß sie sich nicht alles herausnehmen dürfen.« Hendrik schlug mit der Faust auf den Tisch.
Beinah schon war Kroge den Argumenten seiner beiden ersten Mitarbeiter gewonnen, als Miklas, zur Überraschung aller Anwesenden, noch einen Fürsprecher fand: es war Otto Ulrichs, der sich plötzlich anmelden ließ und bat, an der Konferenz teilnehmen zu dürfen. »Ich beschwöre euch, macht das nicht!« rief er dringlich. »Mir scheint, es ist für den Jungen Strafe genug, wenn er für die nächste Saison hier nicht mehr engagiert wird. Der dumme Kerl hat sich doch das alles, was er da gestern abend geschwatzt hat, nicht so genau überlegt! Jeder von uns kann mal die Nerven verlieren …«
»Ich bin erstaunt«, sagte Hendrik und warf durch das Monokel einen strafenden Blick auf seinen Freund Otto. »Ich bin sehr erstaunt, dich, gerade dich, so sprechen zu hören.« Ulrichs winkte ärgerlich ab. »Gut«, machte er, »lassen wir also die menschlichen Erwägungen beiseite. Ich gebe zu, daß der arme Bursche mir leid tut, mit seinem Husten und mit seinen schwarzen Löchern in den Backen. Aber aus so privaten Gründen würde ich mich doch nicht für ihn einsetzen – du solltest mich gut genug kennen, Hendrik, um das zu wissen. Vielmehr sind es, wie
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