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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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seinem guten Engel war sein schlechtes Gewissen geworden. Barbaras stille Mißbilligung warf einen Schatten über seine Triumphe. Der Schatten mußte weggewischt werden, damit er ungestört die Triumphe genießen konnte. – Hendrik bemühte sich um Barbara fast ebenso eifrig wie in den ersten Wochen ihrer Beziehung. Er ließ sich nicht mehr gehen in ihrer Gegenwart; vielmehr hatte er nun wieder Scherze und bedeutende Gespräche für sie bereit.
    Damit sie ihn in den Augenblicken seiner intensivsten Kraftentfaltung, seiner blendendsten Wirksamkeit sähe, forderte er sie nun häufiger auf, zu großen Proben ins Theater zu kommen. »Du kannst mir gewiß wertvolle Ratschläge geben«, sagte er mit der vor Bescheidenheit klagenden Stimme und senkte die Lider über einem schillernden Blick.
    Als Hendrik die erste Kostümprobe zu seiner Neubearbeitung einer Offenbach-Operette leitete, betrat Barbara leise den Zuschauerraum; leise ließ sie sich nieder, in der letzten Reihe des finsteren Parketts. Auf der Bühne standen die Girls, warfen die Beine und schrien den Refrain eines Chansons. Vor ihrer tadellos ausgerichteten Front hüpfte die kleine Siebert, die als Amor zurechtgemacht war: mit lächerlichen Flügelchen an den nackten Schultern, Pfeil und Bogen um den Hals gehängt, und einem rot geschminkten Näschen im bleichen, angstvollen und hübschen kleinen Gesicht. Was für eine unvorteilhafte Maske Hendrik ihr zumutet! dachte Barbara. Ein melancholischer Amor. Und sie empfand, in ihrem dunklen Versteck, etwas wie eine gerührte Sympathie für die arme Angelika, die da vorne zappelte und sprang: vielleicht begriff Barbara in diesem Augenblick, daß um Hendriks willen Angelikas Gesicht den klagenden und angstvollen Ausdruck hatte.
    Höfgen stand, tyrannisch gereckt und mit gebreiteten Armen, auf der rechten Seite der Bühne und beherrschte alles. Er stampfte nach dem Rhythmus der Orchestermusik, sein fahles Antlitz faszinierte durch den Ausdruck äußerster Entschlossenheit.
    »Schluß! Schluß! Schluß!« tobte er, und während das Orchester plötzlich zu spielen aufhörte, erschrak Barbara fast ebensosehr wie die Chorgirls, die ratlos dastanden, und wie die kleine Angelika –: Amor, mit erfrorenem Näschen, gegen die Tränen kämpfend.
    Der Regisseur aber war nach vorne gesprungen, in die Mitte der Bühne. »Ihr habt Blei in den Beinen!« schrie er die Girls an, die traurig die Köpfe senkten, wie Blumen, über die ein eisiger Wind weht. »Keinen Trauermarsch sollt ihr tanzen, sondern Offenbach.« Herrisch winkte er dem Orchester, und da es wieder zu spielen begann, tanzte er selbst. Man vergaß, daß es ein fast schon kahler Herr im grauen, etwas abgetragenen Straßenanzug war, den man da vor sich hatte. Höchst schamlose, höchst erregende Verwandlung am hellen Vormittag! Schien er nicht Dionysos, der Gott der Trunkenheiten zu sein, wie er nun ekstatisch die Glieder warf? – Barbara beobachtete ihn nicht ohne Erschütterung. Eben noch war Hendrik Höfgen der Feldherr gewesen, der – gereizt, hochmütig, unerbittlich – vor seinen Truppen, den Chorgirls, stand. Ohne Übergang war er nun verfallen in bacchantische Raserei. Verzerrungen liefen über sein weißes Gesicht, die Edelsteinaugen verdrehten sich vor Verzücktheit, und von den geöffneten Lippen kamen heisere Laute der Wollust. Übrigens tanzte er glänzend, die Chorgirls schauten respektvoll auf ihren mit großer Technik taumelnden Regisseur, Prinzessin Tebab hätte ihre Freude an ihm gehabt.
    Woher kann er das? dachte Barbara. Und was fühlt er denn jetzt? Fühlt er jetzt irgend etwas? Er macht den Girls vor, wie sie die Beine werfen sollen. Das sind seine Ekstasen …
    In diesem Augenblick unterbrach Hendrik die frenetische Übung. Ein junger Mann aus dem Bureau war vorsichtig durch das Parkett gegangen und auf die Bühne gestiegen. Nun berührte er zart die Schultern des verzückten Regisseurs und flüsterte: Herr Höfgen möge die Störung entschuldigen, Direktor Schmitz lasse ihn bitten, diesen Plakatentwurf für die Operettenpremiere, der sofort in die Druckerei zurückgeschickt werden müsse, zu begutachten. Hendrik winkte der Musik ab, stand in gelassener Haltung und klemmte sich das Monokel vors Auge: niemand hätte dem Mann, der jetzt mit kritischer Miene ein Papier beschaute, angesehen, daß er noch vor zwei Minuten in dionysischer Trance die Glieder geschüttelt hatte. Nun zerknüllte er das Papier in der Hand und rief mit einer mißzufrieden

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