Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
Vom Netzwerk:
immer, politische Erwägungen, die meine Haltung bestimmen. Man soll keine Märtyrer schaffen. Es wäre, gerade bei der augenblicklichen politischen Situation, durchaus falsch …«
    Hier stand Hendrik auf. »Entschuldige, daß ich dich unterbreche«, sagte er mit vernichtender Höflichkeit. »Aber es scheint mir zwecklos, diese an sich gewiß sehr interessante theoretische Debatte fortzusetzen. Der Fall liegt einfach: Ihr habt zwischen mir und Herrn Hans Miklas zu wählen. Wenn er an diesem Theater bleibt, werde ich es verlassen.« Dieses sprach er mit einer feierlichen Schlichtheit, die an dem unerbittlichen Ernst seiner Worte nicht zweifeln ließ. Er stand am Tisch, das Gewicht des vorgebeugten Oberkörpers auf die Hände gestützt, die mit gespreizten Fingern vor ihm lagen. Die Augen hielt er gesenkt, als wollte seine Bescheidenheit es vermeiden, den Entschluß der Anwesenden durch die unwiderstehliche Kraft seines Blickes zu beeinflussen.
    Bei Hendriks schrecklichen Worten waren alle zusammengefahren. Kroge biß sich die Lippen; Frau von Herzfeld konnte sich nicht enthalten, ihre Hand auf das Herz zu legen, welches krampfhaft pochte; Direktor Schmitz war bleich geworden: ihm bereitete es physische Übelkeit, sich vorzustellen, das Künstlertheater könnte nun auch noch Höfgen, den Unersetzbaren, verlieren, nachdem es schon die effektvolle Nicoletta von Niebuhr eingebüßt hatte.
    »Reden Sie keinen Unsinn«, flüsterte der dicke Mensch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und er fügte mit seiner überraschend weichen und angenehmen Stimme hinzu: »Sie können beruhigt sein: der Junge fliegt.«
    Miklas flog – Kroge hatte nur mit Mühe und dank der eifrigen Unterstützung Ulrichs durchsetzen können, daß der verabschiedete junge Schauspieler die Gage für zwei Monate ausbezahlt erhielt. Niemand wußte, wohin Miklas reiste, selbst die arme Efeu sah ihn nicht mehr, er hatte das Künstlertheater seit jenem peinlichen Zwischenfall nicht mehr betreten, grollend hatte er sich zurückgezogen, und nun war er verschwunden.
    Miklas, Opfer seines kindischen Trotzes und seiner ebenso glühenden wie nicht durchdachten Überzeugung, war fort. Hendrik Höfgen hatte den Unbotmäßigen erledigt, den Aufsässigen aus dem Wege geschafft: sein Triumph war vollkommen, mehr denn je bewunderten ihn alle Mitglieder des Künstlertheaters, von der Motz bis zum Böck. Die kommunistischen Bühnenarbeiter, in ihrem Stammlokal, lobten seine energische Haltung. Der Bühnenportier Knurr zeigte eine unheilverkündende finstere Miene, wagte jedoch kein Wort zu sagen und versteckte sein Hakenkreuz sorgfältiger denn je unter dem Rockaufschlag. Wenn aber Höfgen das Theater betrat, trafen ihn aus dem Halbdunkel der Portiersloge fürchterliche Blicke, in denen zu lesen stand: Warte nur, du verfluchter Kulturbolschewist, dir werden wir das Handwerk schon noch legen! Unser Führer und Erlöser ist unterwegs! Der Tag seiner großen Ankunft ist nahe! – Hendrik erschauerte, ließ sein Gesicht zur undurchdringlich hochmütigen Maske erstarren, und ging grußlos vorbei.
    Seine überragende Stellung anzuzweifeln, war niemandem möglich: Er regierte im H. K., im Bureau, auf der Bühne. Seine Gage wurde auf 1500 Mark erhöht: Hendrik machte sich keineswegs mehr die Mühe, wie ein nervöser Sturmwind in Direktor Schmitzens Bureau zu fahren und erst lange neckisch zu tun, um dies zu erreichen; vielmehr verlangte er es mit knappen Worten. Kroge und die Herzfeld wurden von ihm fast wie Untergebene behandelt, die kleine Siebert schien er völlig zu übersehen, und in den kameradschaftlichen Ton, den er Otto Ulrichs gegenüber beibehielt, mischte sich eine gönnerhafte, beinah etwas verächtliche Note.
    Nur einen Menschen gab es in seinem Umkreis, den zu überzeugen, zu gewinnen, zu verführen ihm übrigblieb. Das Mißtrauen, mit dem Barbara auf Hendrik schaute, hatte sich seit der Miklas-Affäre noch vertieft und verschärft. Er aber ertrug es nicht, auf die Dauer jemanden in seiner Nähe zu haben, der ihn nicht bewunderte und nicht an ihn glaubte. – Die Entfremdung zwischen ihm und Barbara war fortgeschritten während dieses Winters. Nun nahm Hendrik einen frischen Anlauf, um sie gänzlich zu überwinden. Zwang ihn nur die Eitelkeit zu diesem neuen Energieaufwand des Werbens? Oder nötigte ihn auch ein anderes Gefühl, seine verführerischen Kräfte für Barbara noch einmal spielen zu lassen? Er hatte sie seinen ›guten Engel‹ genannt. Aus

Weitere Kostenlose Bücher