Mephisto
Beleidigungen gegen ihn selber enthielten. ›Vom Theater verstehen Sie beinah ebenso wenig wie von der Literatur‹, schrieb Theophil dem Allmächtigen, ›Ich prophezeie Ihnen, daß Sie als der Direktor eines Flohzirkus in Argentinien enden werden – denken Sie an mich, Herr Doktor, wenn es so weit ist. Das märchenhafte Glück indessen, welches ich mit meinem mir total hörigen jungen Weibe zu durchleben im Begriff bin, stimmt mich milde, sogar Ihnen gegenüber, der Sie meine genialen Stücke seit Jahren aus Niedertracht und Dummheit boykottieren. Sie wissen, daß in diesen erbärmlichen Läuften nur mir der untrügliche Blick für die echte künstlerische Qualität geblieben ist. Meine Großmut ist gesonnen, das kümmerliche Ensemble Ihrer – wie es sich gehört – schlecht gehenden Vergnügungsetablissements um eine Persönlichkeit zu bereichern, der ein originelles Gepräge nicht abzusprechen ist. Der Schauspieler Hendrik Höfgen machte sich in Hamburg verdient um meine klassische Komödie ,Knorke‘. Ohne Frage ist Herr Höfgen mehr wert als all Ihre übrigen Komödianten – wozu freilich wenig gehört.‹
Der Professor lachte; wurde dann, einige Minuten lang, nachdenklich; spielte mit der Zunge in seinen Backen; klingelte schließlich und befahl seiner Sekretärin, sich mit Höfgen in Verbindung zu setzen. »Man kann es ja mal versuchen«, sagte der Professor langsam und knarrend.
Niemandem, auch Barbara nicht, gestand Hendrik, daß er des Professor ehrenvolles Angebot Theophil zu verdanken habe; niemand wußte, daß er mit dem Gatten Nicolettas in Beziehung stand. Hendrik behandelte die Angelegenheit seines Wiener Gastspiels – das er doch mit so viel Energie und List arrangiert und vorbereitet hatte – mit einer blasierten Nachlässigkeit. »Ich muß geschwind mal nach Wien reisen, beim Professor gastieren«, erklärte er nebenbei; lächelte aasig und bestellte sich beim besten Schneider einen Sommeranzug: Da er schon so viele Schulden hatte – bei Frau Konsul Mönkeberg, bei Väterchen Hansemann, beim Kolonialwaren- und beim Weinhändler –, kam es auf vierhundert Mark mehr oder weniger nicht mehr an.
Hendrik hinterließ, bei seiner plötzlichen Abreise, manche bestürzten Gesichter in der guten Stadt Hamburg, wo sein Charme ihm so viel Herzen erobert hatte. Vielleicht bestürzter noch als die Damen Siebert und Herzfeld war der Direktor Schmitz: denn Höfgen hatte sich, unter allerlei koketten Ausflüchten, geweigert, seinen Vertrag mit dem Künstlertheater für die nächste Spielzeit zu verlängern. Schmitzens rosiges Gesicht wurde gelblich und zeigte plötzlich dicke Säcke unter den Augen, da Hendrik, so grausam wie gefallsüchtig, hartnäckig wiederholte: »Ich kann mich nicht binden, Väterchen Schmitz … Es ist mir ekelhaft, mich zu binden, meine Nerven vertragen es nicht … Vielleicht komme ich wieder, vielleicht auch nicht … Ich weiß es doch selber nicht. Väterchen Schmitz … Ich muß frei sein, verstehen Sie es doch bitte. «
Hendrik reiste nach Wien; Barbara inzwischen fuhr zu ihrem Vater und zur Generalin, aufs Gut. Höfgen hatte es verstanden, aus dem Abschied von seiner jungen Frau eine schöne, wirkungsvolle Szene zu machen. »Wir werden uns im Herbst wiedersehen, mein Liebling«, sprach er, und stand in einer Haltung, die zugleich Stolz und Demut ausdrückte, gesenkten Hauptes vor Barbara. »Wir werden uns wiedersehen, und dann bin ich vielleicht schon ein anderer als heute. Ich muß mich durchsetzen, ich muß … Und du weißt ja, mein Liebling, für wen ich ehrgeizig bin; du weißt es ja, vor wem ich mich bewähren möchte …« Seine Stimme, die sowohl sieghafte als auch klagende Töne hatte, verklang. Hendrik neigte sein ergriffenes, fahles Gesicht über Barbaras bräunliche Hand.
War diese Szene nur Komödie gewesen, oder hatte sie auch Echtes enthalten? Barbara sann darüber nach: auf den Spazierritten am Morgen und nachmittags, im Garten, wenn ihr das schwere Buch auf die Knie sank. Wo begann bei diesem Menschen das Falsche, und wo hörte es auf? – So grübelte Barbara, und sie sprach darüber mit ihrem Vater, mit der Generalin, mit ihrem klugen und ergebenen Freund Sebastian. »Ich glaube ihn zu kennen«, sagte Sebastian. »Er lügt immer, und er lügt nie. Seine Falschheit ist seine Echtheit – es klingt kompliziert, aber es ist völlig einfach. Er glaubt alles, und er glaubt nichts. Er ist ein Schauspieler. Aber du bist noch nicht fertig mit ihm. Er
Weitere Kostenlose Bücher