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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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beschäftigt dich noch. Noch immer bist du neugierig auf ihn. Du mußt noch bei ihm bleiben, Barbara.« –
    Das Wiener Publikum war begeistert von Dora Martin, die in der berühmten Posse abwechselnd als zartes Mädchen und als Schusterbub auf die Bühne kam. Sie verführte mit den rätselhaften, weit geöffneten Kinderaugen; mit den girrenden und heiseren Tönen ihrer Stimme. Sie zerdehnte eigensinnig die Vokale, steckte den Kopf zwischen die Schultern und bewegte sich auf eine Art, die zugleich zauberhaft schwerelos und befangen schien: halb einem eckig-mageren dreizehnjährigen Jungen ähnlich, halb einer lieblich scheuen Elfe, sprang und flatterte, schwebte und schlenderte sie über die Szene. Ihr Erfolg war so groß, daß kein anderer neben ihr aufkommen konnte. Die Zeitungskritiken – lange Hymnen auf ihr Genie – erwähnten ihre Partner nur flüchtig. Hendrik aber, der einen geckenhaft grotesken Kavalier zu geben hatte, wurde sogar getadelt. Man warf ihm Übertreibungen und Manieriertheit vor.
    »Sie sind reingefallen, mein Lieber!« girrte die Martin und winkte ihm tückisch mit den Zeitungsausschnitten. »Das ist ein richtiger Mißerfolg. Und was das Schlimmste ist: Sie werden überall Henrik genannt – das ärgert Sie doch besonders. Tut mir so leid!« Sie versuchte, ein betrübtes Gesicht zu machen; aber ihre schönen Augen lächelten unter der hohen Stirn, die sie in ernste Falten legte. »Tut mir so leid, wirklich. Aber Sie sind ja auch miserabel in der Rolle«, sagte sie beinah zärtlich. »Vor lauter Nervosität zappeln Sie auf der Bühne wie ein Harlekin – tut mir ja so furchtbar leid. Natürlich merke ich trotzdem, daß Sie enorm viel Talent haben. Ich werde dem Professor sagen, daß er Sie in Berlin spielen lassen muß.«
    Schon am nächsten Tage wurde Höfgen zum Professor befohlen. Der große Mann betrachtete ihn aus seinen nahe beieinanderliegenden, versonnenen und dabei scharfen Augen; ließ die Zunge in den Backen spielen; machte, die Arme auf dem Rücken verschränkt, große Schritte durchs Zimmer; brachte ein paar knarrende Laute hervor, die etwa wie: »Na – aha – das ist also dieser Höfgen …« klangen, und sagte schließlich – wobei er, den Kopf gesenkt, in napoleonischer Haltung vor seinem Schreibtisch stehenblieb –: »Sie haben Freunde, Herr Höfgen. Einige Leute, die etwas vom Theater verstehen, weisen mich auf Sie hin. Dieser Marder, zum Beispiel …« Dabei hatte er ein kurzes, knarrendes Lachen. »Ja, dieser Marder«, wiederholte er, schon wieder ernst; um dann, mit respektvoll hochgezogenen Brauen, hinzuzufügen: »Auch Ihr Herr Schwiegervater, der Geheimrat, hat mir von Ihnen gesprochen, als ich ihn neulich beim Kultusminister getroffen habe. Und nun auch noch Dora Martin …«
    Der Professor versank wieder in Schweigen, das er, einige Minuten lang, nur ab und zu durch einen knarrenden Laut unterbrach. Höfgen wurde abwechselnd bleich und rot; das Lächeln auf seiner Miene verzerrte sich. Der nachdenkliche und kalte, zugleich verhangene und durchdringende Blick dieses fleischigen, untersetzten Herrn war nicht leicht zu ertragen. Hendrik begriff plötzlich, warum der Professor, der so gewaltig zu schauen verstand, von seinen Verehrern ›der Magier‹ genannt wurde.
    Schließlich unterbrach Höfgen das peinlich-stumme Examen, indem er mit seiner singenden Schmeichelstimme bemerkte: »Im Leben bin ich unscheinbar, Herr Professor. Aber auf der Bühne …« Hier richtete er sich auf, breitete überraschend die Arme und ließ die Stimme im Metallton leuchten. »Auf der Bühne kann ich ganz drollig wirken.« Diese Worte begleitete er mit dem aasigen Lächeln. Nicht ohne Feierlichkeit fügte er hinzu: »Für diese Wandlungsfähigkeit hat mein Schwiegervater einmal sehr hübsch charakterisierende Worte gefunden.«
    Bei der Erwähnung des alten Bruckner zog der Professor respektvoll die Brauen hoch. Aber seine Stimme klang kalt, als er nach mehreren Sekunden bedeutungsvollen Schweigens sagte: »Na – man könnte es ja mal mit Ihnen versuchen …« Höfgen war freudig aufgefahren; der Professor winkte ernüchternd ab. »Erwarten Sie sich nicht zuviel«, sagte er ernst und prüfte Hendrik immer noch kalt mit den Augen. »Es ist kein großes Engagement, was ich Ihnen anbieten will. – In der Rolle, die Sie hier spielen, wirken Sie gar nicht drollig, sondern ziemlich miserabel.«
    Hendrik zuckte zusammen.
    Der Professor lächelte ihm freundlich zu. »Ziemlich miserabel«,

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