Mephisto
Professor, schon zum Ausgang gedrängt, fragte noch: »Darf man denn das nicht sehen – wie Sie Ihre Perücke aufsetzen? Nicht einmal das?!« fragte er und bekam gierige Augen.
»Nein nein – ausgeschlossen!« Die Martin schüttelte sich vor Entsetzen. »Das kommt gar nicht infrage! Mein Frisiermantel könnte mir von den Schultern rutschen …« Dabei hüllte sie sich enger in das bunte Tuch.
Die Stimme des Professors klang sehr gepreßt, als er »schade!« sagte. Während der berühmte Hexenmeister – den fast alle Frauen seiner Umgebung durch ein gar zu eifriges Entgegenkommen langweilten – die Garderobe verließ, hatte er ein Gefühl, als würde sich Dora Martin, kaum allein gelassen, hinter seinem Rücken in eine Nixe verwandeln, in einen Kobold oder in ein anderes Geschöpf, welches so fremdartig war, daß niemand auch nur seinen Namen wußte. Die raffinierte und wunderliche Keuschheit der großen Schauspielerin hatte den Professor so nachdenklich gestimmt, daß er den kostümierten Gesellen zunächst gar nicht erkannte, der lächelnd einen bunten Federhut vor ihm zog. Erst nachträglich fiel ihm ein, daß es ›dieser Höfgen‹ gewesen war, der ihn da mit einer so devoten Koketterie begrüßt hatte.
Die neue, überraschende Situation verjüngt Hendrik Höfgen. Hinter ihm liegt der provinzielle Ruhm, der bequem gemacht hat. Er ist wieder Anfänger, muß sich noch einmal bewähren. Um hinauf zu kommen – diesmal ganz hinauf –, muß er alle seine Kräfte spannen. Mit Genugtuung darf er feststellen: sie sind unverbraucht, seine Kräfte; sie sind einsatzbereit. Sein Körper strafft sich, beinah gänzlich ist das Fett verschwunden; die Bewegungen sind tänzerisch und kampfeslustig zugleich. Wer so zu lächeln versteht, wer so die Augen schillern lassen kann, der muß Erfolg haben. Schon enthält seine Stimme Jubel über Triumphe, die in Wirklichkeit noch gar nicht eingetroffen sind, jedoch nicht lange auf sich warten lassen können.
Mit einem sinnenden Interesse, in dem sich eine echte Anteilnahme mit einer kühlen und fremden Neugierde mischt, beobachtet Barbara diesen neuen Elan ihres Gatten. Halb spöttisch, halb bewundernd sieht sie Hendrik zu, der im wehenden Ledermantel und auf beschwingten Sandalen sich immer unterwegs, stets in Aktion und in der Nähe großer Entscheidungen zu befinden scheint. Barbara ist zu Hendrik zurückgekehrt, wie es ihr von ihrem Freund Sebastian prophezeit worden ist. Sie bereut es nicht. Der verwandelte, höchst gespannte Hendrik, mit dem sie nun zwei billige möblierte Zimmer bewohnt, gefällt ihr besser, als der provinzielle Liebling, der schon Fett ansetzte, im H. K. Cercle hielt und in der gemütlichen Wohnung der Frau Konsul Mönkeberg den bürgerlichen Ehemann zu spielen versuchte. Barbara fühlt sich gar nicht so schlecht in den beiden finsteren Stuben, die sie jetzt mit ihrem Hendrik teilt. Sie liebt es, sich abends, nach der Vorstellung, mit ihm in einem trüben kleinen Café zu treffen, wo ein elektrisches Klavier durch das Halbdunkel klagt, wo die Kuchen aussehen wie aus Leim und Pappe und wo es keine Bekannten gibt.
Es fasziniert Barbara, Hendriks bebenden, gehetzten Berichten über den Fortgang seiner Karriere zu lauschen. In solchen Augenblicken weiß sie: er ist echt. Sein fahles Gesicht scheint in der von fragwürdigen Gerüchen satten Dämmerung der schäbigen Konditorei zu phosphoreszieren, wie faules Holz in der Nacht. Der gierige Mund mit den starken, schön geschwungenen Lippen lächelt und spricht. Das kraftvolle Kinn, mit der markanten tiefen Kerbe in der Mitte, ist herrschsüchtig vorgeschoben. Vor dem Auge blitzt das Monokel. Die breiten, rötlich behaarten Hände, die durch eine geheimnisvolle Willensleistung schön erscheinen, spielen erregt mit dem Tischtuch, mit den Streichhölzern, mit allem, was in ihre Nähe kommt.
Voll fieberhaftem Eifer setzt Hendrik seine Hoffnungen, Pläne, Berechnungen auseinander; daß Barbara an ihnen Anteil nimmt, sich ihnen nicht mehr hochmutsvoll verschließt, steigert sein Lebensgefühl, erhöht seinen Ehrgeiz. Ja, Barbara macht sich auf aktive Weise verdient um seine Laufbahn. Nicht umsonst hat sie ein so durchtriebenes Madonnengesicht. Sie ist schlau, zieht ihr schwarzes Seidenkleid an und besucht den Professor, dem sie Grüße von ihrem Vater, dem Geheimrat, bringt. Der große Herr über alle Theater am Kurfürstendamm empfängt die Gattin seines jungen Schauspielers gnädig, weil sie die Tochter des
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