Mephisto
Geheimrats ist, dessen Namen man so oft in den Zeitungen liest und den er neulich beim Minister getroffen hat. Das Palais des Professors könnte das eines regierenden Fürsten sein. Wohlgefällig schaut der Besitzer all dieser Barockmöbel, Gobelins und alter Meisterbilder auf die bräunlichen Arme und auf das pfiffig-melancholische Gesicht seiner Besucherin. »Na, und Sie sind also verheiratet mit – diesem Höfgen«, sagte er knarrend, als Abschluß der langen Musterung, wobei er besonders ausführlich mit der Zunge in den Backen spielt. »Irgend etwas muß ja wohl an ihm sein …«
Dies alles gereicht natürlich Hendrik zu großem Vorteil; mit den übrigen Machthabern an den Kurfürstendamm-Bühnen, mit Herrn Katz und mit Fräulein Bernhard, steht er ohnedies ausgezeichnet. Mit Herrn Katz, dem Leiter der Geschäfte – der längst nicht immer so napoleonisch ist, wie er manchmal wirken möchte –, spielt der Schauspieler Höfgen Karten; zu Fräulein Bernhard, der einflußreichen und energischen Sekretärin – einer stämmigen, brünetten kleinen Person mit negroiden Lippen und mit einem Zwicker – verhält er sich fast ebenso kokett, wie einst zum Direktor Schmitz. Findet man ihn nicht schon auf ihrem Schoße sitzend, wenn man unvermutet die Türe zum Büro öffnet? Jedenfalls kann man hören, daß Hendrik Höfgen, der erst seit vierzehn Tagen im Hause ist, das strenge Fräulein Bernhard ›Rose‹ nennt. Das darf er sich leisten, so weit hat er es schon gebracht! Wie viele Schauspieler hatten bis jetzt den Vorzug, auch nur zu wissen, daß Fräulein Bernhards Vorname ›Rose‹ ist?
Schöner Anfang für eine Berliner Karriere – flüstern sich die Kollegen zu. Seine hübsche Frau besucht den Professor, mit Katz spielt er Karten, und Fräulein Bernhard kitzelt er am Kinn. Aus dem kann was werden!
Aus dem wird etwas: es ist bald soweit.
Erst ist es nur eine kleine Rolle, in welcher man ihn bemerkt; aber man bemerkt ihn, die Zeitungen erwähnen schon den ›begabten Herrn Hendrik Höfgen‹, und er hat in dem russischen Stück doch nur einen betrunkenen jungen Bauern spielen dürfen, der auf die Bühne taumelt, um zunächst zu lallen, dann jedoch zu tanzen. Und wie er lallt und, vor allem, wie er tanzt! Das Berliner Publikum ist hingerissen von dem gelehrigen Schüler der Prinzessin Tebab: es bricht in Beifall aus, da er geendigt hat. Mit welcher Besessenheit dieser Bursche die Glieder wirft! Alle Welt ist des Lobes voll über den ekstatischen Ausdruck, den man auf seiner Miene bemerkt haben will während des Tanzes. Rose Bernhard, die am Buffet Herren von der Presse und Damen aus der Gesellschaft um sich versammelt, konstatiert: »Es ist etwas Bacchantisches an diesem Menschen.«
Das Publikum, abgelenkt durch tausend Sorgen und Vergnügungen, vergißt den Namen des frenetischen Tänzers. Aber die Eingeweihten – die, auf welche es ankommt – merken sich Hendriks ersten Berliner Erfolg. Und von seinem zweiten spricht die Hauptstadt.
In einem sensationellen Stück, in einer aufsehenerregenden Inszenierung, gelingt es dem Schauspieler Höfgen, vom Interesse des Publikums und der Presse auf sich den größten Teil zu versammeln. Über seine Leistung wird noch mehr geredet als über den Autor des erregenden Dramas ›Die Schuld‹ – jenen geheimnisvollen Unbekannten, dessen rätselhafte Person in den Cafés und Theaterkanzleien, in den Salons und Redaktionsbüros das beliebteste Diskussionsthema ausmacht. Wer ist der Dichter, der sich hinter dem Pseudonym Richard Loser verbirgt und der in seiner Tragödie eine so erschütternde Menge von sündigem Elend, Not und Verwirrung gestaltet? Wo findet man ihn, diesen Begnadeten, der uns durch ein Labyrinth tragischer und schmutziger Komplikationen führt, der so viel Entartung, verderbte Leidenschaft, so viel Qual und Jammer kennt und zeigt? Keine Frage: der Autor dieses schaurig-spannenden Dramas, der die verschiedenartigsten stilistischen Elemente – symbolistische wie naturalistische – auf wirkungsvolle und kühne Art in sich vereinigt, muß ein Abseitiger sein; ein Einsamer, der sich fernhält vom Betrieb des Marktes. Die Literaten – immer von Mißtrauen erfüllt gegen ihren eigenen Beruf – schwören: Dieser ist kein Literat. Er hat keine Routine, alles an ihm ist geniale Ursprünglichkeit. Niemals hat er eine Zeile geschrieben, bis zu diesem Tage. Ein junger Nervenarzt – wollen einige besonders Eingeweihte wissen, und er lebt in Spanien. Auf Briefe
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