Mephisto
Tebab läßt sich nicht lange bitten. Sie trifft ein.
Hendrik mietet ihr ein Zimmer in entlegener Gegend, wo er ihr wöchentlich mindestens einmal Visite macht; wie ein Verbrecher an den Ort seiner Übeltat – den Shawl bis über das Kinn gewickelt und den Hut tief in die Stirne gedrückt – schleicht er sich zu seiner Geliebten. »Wenn mich irgend jemand ertappen würde – in diesem Aufzug!« flüstert er, während er ins Trainingshöschen schlüpft. »Ich wäre verloren! Alles wäre aus!« – Prinzessin Tebab amüsiert sich über seine schlotternde Angst; sie lacht rauh und herzlich. Aus Vergnügen daran, ihn zittern zu sehen – und auch, um noch mehr Geld aus ihm herauszukriegen –, verheißt sie ihm zum hundertsten Male, sie werde ins Theater kommen und wie eine wilde Katze schreien, wenn er die Bühne betritt. »Paß nur auf, Bubi!« neckt sie ihn grausam. »Einmal tu' ich es wirklich – zum Beispiel bei der großen Premiere nächste Woche. Ich ziehe mir mein buntes Seidenkleid an und setze mich in die erste Reihe. Das gibt einen Skandal!« Animiert reibt sich das dunkle Fräulein die Hände. Dann verlangt sie hundertfünfzig Mark von ihm, ehe er den neuen Tanzschritt üben darf. Mit seinem Aufstieg ist auch sie anspruchsvoller geworden. Nun benutzt sie kostspielige Parfüms, kauft sich in erheblichen Mengen bunte Seidentücher, klirrende Armbänder und kandierte Früchte, die sie aus großen Tüten mit ihren rauhen und gewandten Fingern zu naschen liebt.
Wenn sie grinsend kaut und sich dazwischen behaglich am Hinterkopf kratzt, sieht sie einem großen Affen zum Verwechseln ähnlich.
Hendrik muß zahlen, und er zahlt gerne.
Es bereitet ihm Lust, auf so plumpe Art ausgenutzt zu werden von der Schwarzen Venus. »Denn ich liebe dich wie am ersten Tag!« sagt er ihr. »Ich liebe dich sogar mehr als am ersten Tage. Wenn du weg bist, begreife ich erst ganz, was du mir bedeutest. Die strengen Damen von der Tauentzienstraße sind unerträglich langweilig.« – »Und deine Frau?« erkundigt sich das Urwaldmädchen mit einem grollenden Kichern. »Und deine Barbara?« – »Ach die …«, macht Hendrik, sowohl kummervoll als verächtlich, und wendet das fahle Gesicht dem Schatten zu.
Barbara kommt immer seltener nach Berlin; auch der Geheimrat zeigt sich beinah nie mehr in der Hauptstadt, wo er früher, mehrmals im Winter, Vorträge zu halten und an der repräsentativen Geselligkeit teilzunehmen pflegte. Der Geheimrat sagt: »Ich bin nicht mehr gern in Berlin. Ja, ich fange an, mich vor Berlin zu fürchten. Es bereiten sich hier Dinge vor, die mich entsetzen – und das Schaurige ist, daß die Menschen, mit denen ich Umgang habe, die Gefahren nicht zu bemerken scheinen. Man ist geschlagen mit Blindheit. Man amüsiert sich, streitet sich, nimmt sich ernst; inzwischen verfinstert sich der Himmel, aber man hat keinen Blick für das Ungewitter, das näher kommt – das schon beinahe da ist. Nein, ich bin nicht mehr gern in Berlin. Vielleicht meide ich es, um es nicht verachten zu müssen …«
Er kommt doch noch einmal; aber nicht mehr, um an repräsentativer Geselligkeit teilzunehmen oder in der Universität zu dozieren; vielmehr um eine große kulturpolitische und tagespolitische Rede zu halten. Die Rede trägt den Titel: ›Die drohende Barbarei‹; mit ihr will der Geheimrat den geistigen Teil des Bürgertums noch einmal – zum letzten Mal – warnen vor dem, was heraufkommt und was Verfinsterung und Rückschlag bedeutet, während es sich selber frech ›Erwachen‹ und »nationale Revolution‹ zu nennen wagt.
Der alte Herr spricht anderthalb Stunden lang vor einem Publikum, welches tobt – teils vor Beifall, teils zum Widerspruch.
Während seines letzten Aufenthalts in der Kapitale hat der bürgerliche Gelehrte, der durch seinen Besuch in der Sowjetunion der Rechten verhaßt und den Demokraten schon ein wenig verdächtig ist, Besprechungen mit vielen seiner Freunde, mit Politikern, Schriftstellern, Professoren. All diese Unterredungen endigen mit der heftigsten Meinungsverschiedenheit. Die Freunde erkundigen sich, nicht ohne Hohn: »Wo bleibt Ihre geistige Toleranz, Herr Geheimrat? Wohin sind Ihre demokratischen Prinzipien? Wir erkennen Sie gar nicht wieder. Sie sprechen ja wie ein radikaler Tagespolitiker, nicht mehr wie ein kultivierter, überlegener Mensch. Alle kultivierten Menschen sollten sich darin einig sein, daß es diesen Nationalsozialisten gegenüber nur eine Methode gibt: die erzieherische.
Weitere Kostenlose Bücher