Mephisto
wasserblauen Augen in einem roten Gesicht. Jedermann weiß, daß er von den guten Beziehungen seiner schönen Frau lebt, die aus aristokratischer Familie stammt. Durch sie erfährt er den ganzen Klatsch der Berliner Gesellschaft, aus dem er seine kleinen Artikel für das interessante Journal‹ zusammenstellt. In diesem verrufenen Skandalblatt plaudert Herr Müller-Andreä wöchentlich unter dem Titel: ›Hatten Sie davon eine Ahnung?‹ Gerade diesen amüsanten Artikeln verdankt das ›Interessante Journal‹ seine Beliebtheit; denn in ihnen wird mitgeteilt, daß die Gattin des Industriellen X mit dem lyrischen Tenor Y eine kleine Reise nach Biarritz unternommen hat und daß die Gräfin Z jeden Nachmittag im Adlon zum Tanztee erscheint, und dieses nicht der guten Kapelle, sondern eines gewissen Gigolos wegen … Durch solche Eröffnungen versteht es Herr Müller-Andreä, die Leser zu fesseln und zu belehren. Seine ziemlich luxuriöse Lebenshaltung bestreitet er übrigens keineswegs mit seinen Einnahmen aus veröffentlichten Artikeln; vielmehr mit jenen Summen, die er sich für die Nicht veröffentlichung von ›Plaudereien‹ bezahlen läßt. So manche Dame hat schon schweres Geld an Herrn Müller-Andreä überwiesen, damit ihr Name nicht in die Rubrik ›Hatten Sie davon eine Ahnung?‹ komme. Herr Müller-Andreä ist ein gemeiner Erpresser, niemand bestreitet es – auch er selber nicht –; niemand macht besonderes Aufheben davon.
Der andere ›glühende Verehrer‹ des Schauspielers Höfgen, Monsieur Pierre Larue, ist ein kleines Männchen. Er reicht Hendrik eine bleiche, spitze Hand und spricht mit einer klagenden Sopranstimme: »Sehr interessant, lieber Herr Höfgen! Darf ich mir Ihre Adresse notieren?« Dabei hat er schon, mit geübtem Griff, ein dickes Notizbuch hervorgeholt. »Ich hoffe, Sie werden nächstens im Esplanade bei mir speisen«, ruft er noch mit seinem jammernden und dabei sirenenhaft lockenden Stimmchen. – Monsieur Larue hat in seinem altjüngferlich spitzen, von unzähligen Fältchen durchzogenen Gesicht merkwürdig scharfe und durchdringende Augen; aus ihnen leuchtet, beinah ekstatisch, eine ungeheure Neugierde; sie funkeln von jener Sucht nach Menschen, Namen und Adressen, die der eigentlich herrschende Impuls und der einzige echte Inhalt seines Lebens ist. Monsieur Larue würde sterben, traurig eingehen, wie ein Fischlein, dem man das Wasser entzieht, an dem Tage, der ihn keine neuen Bekanntschaften machen ließe. Jedoch wird diese Situation, die so beklagenswert wäre, dem kleinen Menschensammler erspart bleiben, mindestens solange er sich in Berlin aufhält. Denn Ausländer haben es leicht in Berliner Salons: ein Gast, der mit schlechtem Akzent deutsch spricht, gereicht einer Gesellschaft fast ebenso zur Ehre wie ein Boxer, eine Gräfin oder ein Filmschauspieler – und nun gar noch ein Ausländer, der Geld hat, interessante Diners im Hotel Esplanade arrangiert, mehreren Königen vorgestellt ist und sogar den Prince of Wales kennt. Keine Tür bleibt verschlossen vor Monsieur Larue, sogar der ehrwürdige alte Herr Reichspräsident hat ihn empfangen. Er genießt den Umgang der reaktionärsten und exklusivsten Familien von Potsdam; andererseits sieht man ihn in Gesellschaft linksradikaler junger Leute, die er als ›mes jeunes camarades communistes‹ in den Häusern der Bankdirektoren einzuführen liebt.
»Gestern habe ich Sie im Wintergarten bewundert«, sagt Pierre Larue, nachdem er sich Höfgens Telephonnummer notiert hat. Und er wiederholt scherzhaft, aber klagenden Tones, den populären Refrain: »Es ist doch nicht zu schildern …« Danach hat er ein kleines Lachen, das klingt wie das Rascheln von Herbstwind in trockenem Laub. »Ha ha ha«, lacht Monsieur Larue; reibt sich die bleichen Knochenhändchen über der Brust gegeneinander und steckt sein Gesicht tief in den dicken, schwarzen Wollshawl, den er, trotz der warmen Temperatur in diesen Räumen, über dem Smoking um den Hals geschlungen trägt.
Es ist doch nicht zu schildern – das hat die Welt noch nicht gesehen – das gibt's nur einmal, das kommt nicht wieder! In Deutschland steht alles glänzend, besser könnte es gar nicht stehen, man darf sorglos und guter Dinge sein. Gibt es eine Krise? Gibt es Arbeitslose, gibt es politische Kämpfe? Gibt es eine Republik, der es nicht nur an Selbstachtung, sondern sogar an Selbsterhaltungstrieb fehlt und die sich vor der ganzen Welt verhöhnen läßt von ihrem frechsten und rohesten
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