Mephisto
Abgründe zu steigen. Das Drama ›Die Schuld‹ muß abgesetzt werden.
Eine launische Öffentlichkeit läßt Katz fallen; Höfgen aber hat sich durchgesetzt und mittels seiner erstaunlichen Bösheit definitiv alle Herzen erobert. Beim Ende seiner ersten Berliner Saison kann er zufrieden und guter Dinge sein: Man erklärt ihn allgemein als die Größe von morgen, als den aufsteigenden Stern, als die bedeutende Hoffnung. Sein Vertrag für die nächste Spielzeit 1929/30 sieht schon ganz anders aus als der abgelaufene: die Gage ist ihm fast verdreifacht worden, der Professor mußte es knurrend und knarrend geschehen lassen, denn die Konkurrenz ist hinter Höfgen her.
»Na, nun können Sie sich reichlich frische Hemden und Lavendelwasser leisten«, sagte der Professor zu seinem neuen Star. Dieser erwidert, gewinnend lächelnd: »Eau de Cologne, Herr Professor! Ich benutze nur Eau de Cologne!« –
Der Sommer ist da, Hendrik gibt die zwei trüben Stuben auf, mietet sich eine helle Wohnung im Neuen Westen, am Reichskanzlerplatz, kauft sich zahlreiche Hemden, gelbe Schuhe und zartfarbene Anzüge, nimmt Unterricht in der Kunst des Chauffierens und verhandelt mit mehreren Firmen wegen des Ankaufs eines schicken Cabriolets, welches er zum Reklamepreis beansprucht – Barbara fährt zur Generalin aufs Gut. Der erfolgreiche Gatte interessiert sie weniger als der kämpfende, der von unbefriedigtem Ehrgeiz bebende sie interessiert hat. Frau von Herzfeld kommt zu Besuch, um Hendrik bei der Einrichtung seiner neuen Wohnung zu helfen: Sie wählt Stahlmöbel aus und als Schmuck für die Wände Reproduktionen nach Van Gogh und Picasso. Die Räume behalten eine Kahlheit von elegantem, anspruchsvollem Gepräge. – Hendrik genießt Frau von Herzfelds Bewunderung, nimmt ihre Liebe, die noch gewachsen zu sein scheint, entgegen wie einen wohlverdienten Tribut. Hedda hat nun auf jede ironische Maske ihm gegenüber verzichtet. Mit einer wehmütigen Gier, einer resignierten Süchtigkeit hängen ihre sanften, goldbraunen Augen an dem grausamen Angebeteten. »Die arme kleine Siebert sieht ganz blaß aus, vor lauter Sehnsucht nach Ihnen«, berichtet sie, und verschweigt, daß sie ihrerseits sich einmal so weit hat gehen lassen, mit Angelika zusammen zu weinen – bitterlich und lange zu weinen um den Verlorenen, den sie niemals besessen hat.
Frau von Herzfeld darf Höfgen zu den Filmateliers begleiten; denn in diesem Sommer filmt er zum ersten Mal. In dem Kriminalfilm ›Haltet den Dieb!‹ hat er die führende Rolle des großen Unbekannten und geheimnisvollen Übeltäters, der meist mit einer schwarzen Maske vorm Gesicht erscheint. Schwarz ist alles an ihm, selbst das Hemd: die Farbe der Kleidung läßt auf die Finsternis der Seele schließen. Er wird ›der Schwarze Satan‹ genannt und ist der Chef einer Bande, die Falschgeld fabriziert, Rauschgift schmuggelt, gelegentlich Bankeinbrüche verübt und auch schon mehrere Morde auf dem Gewissen hat. So viele Untaten verübt der Schwarze Satan nicht nur aus Habgier oder Spaß am Abenteuer, sondern auch aus prinzipiellen Gründen. Düstere Erfahrungen, die er einst mit einem jungen Mädchen gemacht, haben ihn zu einem Feind der Menschheit werden lassen. Es ist ihm ein Herzensbedürfnis, Schaden und Unheil zu stiften, er ist Übeltäter aus Überzeugung: dieses gesteht er, kurz vor seiner Verhaftung, dem Kreis der Kumpane, die sich wundern und fürchten; denn sie ihrerseits haben aus weniger komplizierten Gründen gestohlen. Sie murmeln ehrfurchtsvoll und betroffen, da sie erfahren, wie seltsam es um ihren Chef, den Schwarzen Satan, steht, und daß er keineswegs immer Verbrecher, vielmehr Husarenoffizier gewesen ist. Im Verlaufe dieser dramatischen Szene nimmt der Bösewicht seine Maske ab: sein Gesicht, zwischen dem steifen schwarzen Hut und dem hochgeschlossenen dunklen Hemd, ist von schauriger Blässe, übrigens immer noch aristokratisch bei aller Verkommenheit, und nicht ohne tragischen Zug.
Die maßgebenden Herren der großen Filmgesellschaft sind höchst beeindruckt von dieser grausamen und leidvollen Miene. Höfgen bringt Überraschungen, er ist eigenartig und wird gute Kassen machen, sowohl in der Hauptstadt als auch in der Provinz; so sagen sich die maßgebenden Herren, und die Angebote, die Hendrik von ihnen empfängt, übertreffen alle seine Hoffnungen. Er muß sie teilweise ablehnen; sein Vertrag mit dem Professor bindet ihn. Da er sich rar macht, werden die Filmgewaltigen erst recht
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