Mephisto
Wir müssen alles daran setzen, diese Menschen zu zähmen, mittels der Demokratie. Wir müssen sie gewinnen, anstatt sie zu bekämpfen. Wir müssen diese jungen Menschen überreden zur Republik. – Und übrigens«, fügen die sozialdemokratischen oder liberalen Herren mit einer vertraulich gedämpften Stimme und mit einem ernsten Blick hinzu, »und übrigens, lieber Geheimrat: Der Feind steht links.« Manches muß Bruckner sich anhören, über die ›gesunden und aufbauwilligen Kräfte‹, die ›trotz allem‹ im Nationalsozialismus stecken; manches über das edle nationale Pathos einer Jugend, der gegenüber, ›wir Älteren‹ eben nicht länger verständnislos ablehnend bleiben dürfen; über den ›politischen Instinkt des deutschen Volkes‹, seinen ›gesunden Menschenverstand‹ der stets das Schlimmste verhüten werde – (›Deutschland ist nicht Italien‹) – ehe er, erbittert und enttäuscht, abreist, im Herzen entschlossen, nie wiederzukehren.
Der Geheimrat Bruckner entzieht sich einer Gesellschaft – in welcher Hendrik Höfgen Triumphe feiert. –
In Berliner Salons ist jeder willkommen, der Geld hat oder dessen Namen häufig genannt wird von der Boulevardpresse. Auf dem Parkett der Tiergarten- und Grunewald-Villen treffen sich die Schieber mit den Rennfahrern, Boxern und berühmten Schauspielern. Der große Bankier ist stolz darauf, Hendrik Höfgen bei sich zu empfangen; noch lieber freilich hätte er Dora Martin in seinem Hause gesehen, aber Dora Martin kommt nicht, sie sagt ab oder zeigt sich höchstens für zehn Minuten.
Natürlich erscheint auch Höfgen nicht vor Mitternacht. Nach der Abendvorstellung tritt er noch in einer Music-Hall auf, wo er für 300 Mark ein Chanson singt, welches sieben Minuten dauert. Die schicke Gesellschaft, die er mit seiner Gegenwart beehrt, trällert ihm den Refrain des Songs entgegen, den er berühmt gemacht hat:
»Es ist doch nicht zu schildern –
Soll ich denn ganz verwildern?
Mein Gott, was ist denn nur mit mir geschehn!«
Wie schön und fein Hendrik ist – es ist doch nicht zu schildern! Grüßend und lächelnd, hinter sich Herrn Katz und Fräulein Bernhard als seine treuen Trabanten, bewegt er sich durch diese Gesellschaft von versnobten jüdischen Financiers, von politisch radikalen und künstlerisch impotenten Literaten und von Sportsleuten, die noch nie ein Buch gelesen haben und, gerade deshalb, von den Literaten angehimmelt werden. »Sieht er nicht aus wie ein Lord?« flüstern reich geschmückte Damen orientalischen Typs. »Er hat einen so lasterhaften Zug um den Mund – und diese herrlich blasierten Augen! Sein Frack ist von Knige, er hat 1200 Mark gekostet.« – In einer Ecke des Salons wird behauptet, Höfgen habe ein Verhältnis mit Dora Martin. »Aber nein – er schläft doch mit Fräulein Bernhard!« wollen noch Eingeweihtere wissen. »Und seine Frau?« erkundigte sich ein etwas naiver junger Herr, der noch nicht lange in der Berliner Gesellschaft verkehrt. Er bekommt nur ein verächtliches Lächeln zur Antwort. Die Familie Bruckner ist nicht mehr ernst zu nehmen, seitdem sich der alte Geheimrat politisch auf eine so anstößige und übrigens sinnlose Art exponiert hat. Gelehrte sollten sich nicht in Dinge mischen, von denen sie nichts verstehen – darüber sind alle sich einig –, und außerdem empfindet man es als albernen Eigensinn, gegen den Strom zu schwimmen. Für die zukunftsträchtige Bewegung des Nationalsozialismus, die so viel positive Elemente enthält und ihre störenden kleinen Fehler, zum Beispiel diesen lästigen Antisemitismus, schon noch ablegen wird, bringt man als moderner Mensch Verständnis auf. »Daß der Liberalismus etwas Überwundenes ist und keine Zukunft mehr hat, ist doch wohl eine Tatsache, über die wir nicht mehr zu diskutieren brauchen«, sagen die Literaten, und weder die Boxer noch die Bankiers widersprechen ihnen.
»Wie reizend, daß Sie eine Stunde Zeit für uns gefunden haben, Herr Höfgen!« flötet die Hausfrau ihrem attraktiven Gast entgegen und hält ihm ein Tellerchen mit Kaviar hin. »Man weiß doch, wie beschäftigt Sie sind! Darf ich Sie mit zwei ihrer glühendsten Verehrer bekannt machen? Dieses ist Herr Müller-Andreä, der Ihnen durch seine bezaubernden Plaudereien im ›Interessanten Journal‹ gewiß bekannt ist. Und dieses ist unser Freund, der berühmte französische Schriftsteller Pierre Larue …«
Herr Müller-Andreä ist ein eleganter, grauhaariger Mann mit stark hervortretenden
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