Mephisto
antwortet er nicht, die Verhandlungen mit ihm sind durch mehrere Mittelsleute zu führen: alles dies wird ungeheuer interessant gefunden, man bespricht es fieberhaft in den Kreisen, die auf sich halten.
Ein junger Nervenarzt, und er lebt in Spanien: die Version hat viel Wahrscheinlichkeit, man glaubt sie, sie setzt sich durch. Nur ein Nervenarzt kann so bewandert sein in jenen Entartungen der Menschenseele, die zu grausigen Verbrechen führen. Wie der sich auskennt! In seinem Drama kommen alle Sünden vor. Es ist eine Gesellschaft von Verfluchten, die hier handelt und leidet. Jede Person, die auftritt, scheint ein finsteres Zeichen auf der Stirn zu tragen: darüber sind die Damen aus dem Grunewald und vom Kurfürstendamm ganz entzückt.
Von allen Verkommenen der Verkommenste aber ist Hendrik Höfgen, weshalb er auch den stärksten Beifall hat. Seiner fahlen, teuflischen Miene, seiner belegten und matten Stimme ist es anzumerken, daß er mit allen Lastern vertraut ist und sogar noch finanziellen Vorteil aus ihnen zieht. Augenscheinlich ist er ein Erpresser großen Stils; aasig lächelnd bringt er junge Menschen skrupellos ins Unglück, einer von ihnen begeht Selbstmord auf offener Bühne, Hendrik, die Hände in den Hosentaschen, die Zigarette im Mund, das Monokel vorm Auge, schlendert an der Leiche vorbei. Unter Schauern empfindet das Publikum: dieser ist die Inkarnation des Bösen. Er ist so durchaus, so vollkommen böse, wie es nur ganz selten vorkommt. Manchmal scheint er selber zu erschrecken über seine absolute Schlechtigkeit; dann bekommt er ein starres, weißes Gesicht, die fischigen Edelsteinaugen haben ein trostloses Schielen, und an den empfindlichen Schläfen vertieft sich der Leidenszug. Höfgen spielt dem wohlhabenden Publikum des Berliner Westens die äußerste Entartung vor, und er macht Sensation. Die Verworfenheit als Delikatesse für reiche Leute: damit schafft es Höfgen. Wie er es schafft! Sein zugleich müdes und gespanntes Mienenspiel wird bewundert, sehr bewundert werden seine nachlässig weichen, anmutig tückischen Gebärden – »er bewegt sich wie eine Katze!« schwärmt Fräulein Bernhard, die sich von ihm ›Rose‹ nennen läßt. »Eine böse Katze! oh, wie himmlisch böse er ist!« Seine Sprechweise – ein heiseres Flüstern, aus dem zuweilen ein bezauberndes Singen wird – kopieren schon die Kollegen von den kleineren Bühnen. – »Habe ich nun nicht recht gehabt? Es ist etwas los mit ihm«, sagt Dora Martin zum Professor, der nicht länger widersprechen kann. »Naja …« bringt er knarrend hervor, bewegt die Zunge im Munde und blickt grüblerisch. Im Grunde nimmt er ›diesen Höfgen‹ noch immer nicht ernst; so wenig ernst, wie Oskar H. Kroge es je getan hat. Ein Komödiant, denkt der Professor, wie Kroge.
Ein faszinierender Komödiant: die Kritiker finden es, die reichen Damen finden es, Fräulein Bernhard findet es, die Kollegen können es nicht mehr leugnen. Das Stück ›Die Schuld‹ verdankt seine außergewöhnliche Zugkraft zu großen Teilen der Leistung Höfgens. Es kann hundertmal hintereinander gespielt werden, der Professor verdient schweres Geld; das Unglaubliche geschieht: er erhöht Hendriks Gage noch während der Saison, wozu kein Vertrag ihn verpflichtet – Fräulein Bernhard und Herr Katz haben dies durchgesetzt bei ihrem illustren Chef.
Vielleicht hätte das Stück selbst 150- oder 200mal gegeben werden können; aber allmählich dringen Gerüchte über den Autor durch, die ernüchternd wirken. Er ist gar kein sonderbarer Nervenarzt in Spanien, heißt es plötzlich. Er ist kein Außenseiter, der nur mit den Abgründen der menschlichen Seele vertraut ist, unschuldig, unwissend aber in den banalen Mysterien des ›Betriebs‹. Er ist überhaupt kein edler Unbekannter, sondern einfach Herr Katz, über den jeder sich schon mal geärgert hat. Die Enttäuschung ist allgemein. Herr Katz, der routinierte Geschäftsmann, hat das Drama ›Die Schuld‹ geschrieben! Plötzlich finden alle, das Stück sei nur eine Häufung von vulgären Greueln, so geschmacklos wie unbedeutend. Man fühlt sich hereingelegt und ist der Ansicht, das Ganze sei eine große Frechheit von Herrn Katz. Ist Herr Katz Dostojewskij? Seit wann denn? fragt man sich gereizt in den Kreisen, die den Ton angeben. Herr Katz ist der geschäftliche Berater des Professors – was übrigens als beneidenswerte Stellung gilt. Niemand billigt ihm das Recht zu, sich als spanischer Nervenarzt auszugeben und in
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