Mephisto
Konversationsstücke wirken; aus mondänen Farcen, die in Budapest oder Paris nach billigen Rezepten hergestellt sind, zaubert er raffinierte kleine Effekte, die des Machwerks Nichtigkeit vergessen lassen. – Dieser Höfgen kann alles! Seine brillante, vor keiner Zumutung versagende Wandlungsfähigkeit scheint genialen Einschlag zu haben. Wollte man jede seiner Leistungen einzeln betrachten, so käme man wohl zu dem Resultat, daß keine von ihnen allerersten Ranges ist: als Regisseur wird Höfgen niemals den ›Professor‹ erreichen; als Schauspieler kann er es mit seiner großen Konkurrentin Dora Martin nicht aufnehmen, die der erste Stern an einem Himmel bleibt, über den er sich als ein schillernder Komet bewegt. Es ist die Vielfalt seiner Leistungen, die seinen Ruhm ausmacht und immer wieder erneuert. Da gibt es nur eine Stimme im Publikum: Fabelhaft, was er alles fertigbringt! Und in gewählteren Ausdrücken wiederholt die Presse die gleiche Meinung.
Er ist der Liebling der links-bürgerlichen und linken Blätter – wie er der Favorit der großen jüdischen Salons ist und bleibt. Gerade der Umstand, daß er kein Jude ist, läßt ihn diesen Kreisen besonders schätzenswert erscheinen; denn die jüdische Berliner Elite ›trägt blond‹. – Die Zeitungen der radikalen Rechten, die täglich die Erneuerung deutscher Kultur durch die Rückkehr zum volkhaft Echten, zu Blut und Boden zornig propagieren, verhalten sich mißtrauisch und ablehnend gegen den Schauspieler Höfgen; er gilt ihnen als ›Kulturbolschewist‹. Daß die jüdischen Feuilletonredakteure ihn schätzen, macht ihn ebenso verdächtig wie seine Vorliebe für französische Stücke und die exzentrisch-volksfremde Mondänität seiner Erscheinung. Außerdem verfolgen ihn die nationalistischen Dramatiker mit ihrem Haß, weil ihre Stücke von ihm abgelehnt werden. Cäsar von Muck, zum Beispiel, repräsentativer Dichter der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung, in dessen Dramen erwürgte Juden und erschossene Franzosen die Pointen des Dialogs ersetzen – Cäsar von Muck, höchste Kapazität für kulturelle Fragen im Lager der dezidierten Kulturfeindlichkeit, schreibt über die Neuinszenierung einer Wagner-Oper, mit der Höfgen eben Sensation gemacht hat: Dies sei übelste Asphalt-Kunst, zersetzendes Experiment, durchaus jüdisch beeinflußt und freche Schändung deutschen Kulturgutes. ›Der Zynismus des Herrn Höfgen kennt keine Grenzen‹, schreibt Cäsar von Muck. ›Um dem Kurfürstendammpublikum eine neue Unterhaltung zu bieten, wagt er sich an den ehrwürdigsten, größten der deutschen Meister – an Richard Wagner.‹ – Recht herzlich amüsiert Hendrik sich, gemeinsam mit ein paar radikalen Literaten, über diese Redensart des Blut- und Boden-Skribenten.
Höfgen hat seine Beziehungen zu kommunistischen oder halbkommunistischen Kreisen keineswegs aufgegeben; zuweilen bewirtet er in seiner Wohnung am Reichskanzlerplatz junge Schriftsteller oder Parteifunktionäre, denen er in immer neuen und immer effektvollen Redewendungen seinen unversöhnlichen Haß gegen den Kapitalismus und seine glühende Hoffnung auf die Weltrevolution versichert. – Umgang mit den Revolutionären pflegt er nicht nur, weil er meint, diese könnten doch vielleicht einmal an die Macht kommen, und dann würden alle Diners sich reichlich bezahlt machen; sondern auch zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Man ist anspruchsvoll und möchte doch mehr sein als nur ein gut verdienender Komödiant; man will nicht ganz aufgehen in einem Betrieb, den man im Grunde zu verachten behauptet, während man doch ganz in seinem Banne steht.
Hendrik schmeichelt sich, daß sein Leben Inhalte und Probleme habe, deren sich die Kollegen kaum rühmen können. Dora Martin, zum Beispiel, diese großartige Dora Martin, die immer noch um eine entscheidende Nuance berühmter ist als er selbst: was mag schon vorgehen in ihrem Innern? Sie schläft ein mit dem Gedanken an ihre Gagen und erwacht mit Hoffnungen auf neue Filmverträge: So sagt sich Hendrik, der von Dora Martin nichts weiß. In seinem Innern aber begeben sich die originellsten Dinge.
Die Bindung an Juliette, das grausame Naturkind – sie ist mehr als nur sexuelle Angelegenheit, sondern kompliziert und geheimnisvoll –: Hendrik legt Wert auf diesen interessanten Umstand. Manchmal glaubt er auch, daß seine Beziehung zu Barbara – Barbara, die er seinen guten Engel genannt hat – durchaus nicht abgeschlossen und zu Ende sei,
Weitere Kostenlose Bücher