Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
du passt dich seiner Geschwindigkeit an, du wirst getragen vom Rhythmus des Lebens.
Lea schaltete in den fünften Gang, der Wagen reagierte augenblicklich und das Fahrgeräusch wurde lauter. Doch sie hörte es nicht. Der graue Dunst, der sie zu Beginn ihrer Fahrt umfangen hatte, löste sich auf; es war ihr, als zöge man einen Vorhang zur Seite und das Licht fand nun endlich zu ihr. Sie hatte die sichere Empfindung, dieser gleißende Lichtstrom brach nur für sie aus den Wolken hervor, und sie fühlte eine unbeschreibliche Sehnsucht in sich aufsteigen. Der Tacho zeigte 170 km/h. Lea spürte die Geschwindigkeit – das war ihr Weg.
Das Rad des Schicksals, es dreht sich immer weiter, es dreht sich schneller. Du wirst mitgerissen, du lässt dich mitreißen, weil es deine Botschaft ist. Du nimmst dein Schicksal an und weißt dich sicher empfangen im Licht.
Schweißperlen bildeten sich auf Leas Stirn. Ihre Finger verkrampften sich um das Lenkrad. Bald würde sie ihr Ziel erreicht haben, sie musste nur der Anweisung folgen. Zu allem entschlossen verstärkte sie den Druck ihres rechten Fußes. Undeutlich nahm sie andere Autos wahr, die auf der Rechtsabbiegerspur in Richtung Frankfurter Flughafen unterwegs waren. Doch es hatte keine Bedeutung, denn sie raste, nein sie flog dahin und die Baumwipfel verschmolzen mit dem Himmel. Lea fühlte sich so frei wie nie zuvor und wünschte sich, dieser Zustand würde niemals enden.
Doch da vernahm sie eine leise Melodie. Eine Abfolge von Tönen, die sie kannte, die sie wohl tausendfach gehört hatte.
Mechanisch drückte sie die Freisprechfunktion ihres Mobiltelefons und hörte eine Frauenstimme. Mit einem Mal verlor das helle Licht um sie herum an Intensität, sein Leuchten ließ nach und stattdessen verspürte Lea einen dumpfen Druck auf der Brust.
»Hallo! Lea! … Lea! Sind Sie das? Hier spricht Konstanze.«
Diese Stimme, wo auch immer sie herkam, klang ruhig, aber bestimmt. »Lea, wo sind Sie? Fahren Sie auf der Autobahn?«
Lea brachte kein Wort hervor.
»Lea! Hören Sie mir genau zu!«
Die klare Stimme vertrieb das Licht, doch als Lea erneut auf das Gaspedal trat, erschien es strahlender als zuvor. Ja, so war es gut, so sollte es sein, der Druck auf ihrer Brust ließ nach und immer schneller näherte sie sich den Autos auf der rechten Spur.
Du siehst das Licht, du trittst in seinen hellen Schein, und du wirst geborgen sein. Dein Schicksal wird sich erfüllen. Du wirst erlöst werden.
Nur noch wenige hundert Meter betrug die Entfernung zwischen ihrem Wagen und den Fahrzeugen vor ihr. Als sie erneut die Worte der Frau vernahm, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie diese Stimme kannte. Und nicht nur das. Irgendwo, tief im Unterbewusstsein fand sich die Gewissheit, dass sie ihr vertrauen durfte. Aber was wollte sie von ihr?
»Lea, Sie fahren langsamer … Sie bremsen vorsichtig ab.«
Doch Lea wusste, das durfte sie nicht! Unter keinen Umständen.
Die Stimme der Frau blieb beharrlich. »Lea, Sie fahren immer langsamer. Dabei geht es Ihnen gut. Sie haben keine Angst … Sie fahren auf den Seitenstreifen … Sie halten vorsichtig auf dem Seitenstreifen an und drücken auf den Knopf der Warnblinkanlage.«
Eine riesige dunkle Wolke schob sich vor ihr wundervolles Lichtermeer, und Lea begann zu zittern, als sie nun langsam den rechten Fuß vom Gaspedal zurückzog. Vorsichtig trat sie auf die Bremse, und obwohl der Druck auf ihrer Brust so stark wurde, dass sie ihn kaum ertragen konnte, brachte sie den Wagen auf dem Seitenstreifen zum Stehen und schaltete die Warnblinkanlage ein.
»Sie können sich an alles erinnern, was geschehen ist … an die Botschaft … an das Signal … Sie erinnern sich an alles, was seit Ihrem Spaziergang mit Elisabeth im Wald geschehen ist, an jede Einzelheit … Alle Befehle außer diesem haben keine Bedeutung … Sie werden anderen Befehlen nicht gehorchen … Sie werden keinem anderen Befehl mehr gehorchen!«
Leas Zittern ließ nach. Plötzlich nahm sie die Silhouetten der vorbeirasenden Wagen neben sich wahr.
»Sie erinnern sich an jedes gesprochene Wort.«
Langsam lockerten Leas Hände den Griff um das Lenkrad. Die Warnblinkanlage gab ein rhythmisches Klacken von sich.
Als sei sie aus einer Narkose erwacht und noch nicht ganz bei Bewusstsein, sah sich Lea benommen um.
»Lea, wo sind Sie jetzt? Sagen Sie uns genau, wo Sie sich befinden.«
Mit einem Mal wusste sie, dass die Stimme zu Konstanze von Helmstetten gehörte und wer
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