Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
ab.
»Nimm doch nicht gleich so ein Riesenstück!«, bemerkte Lea ironisch.
»Ach, Mama, ich kann mir ja noch eins nehmen.«
Lea schwieg; die weitere Diskussion würde nichts verbessern.
»Wie geht es eigentlich Johanna? Die hat dich lange nicht mehr besucht.«
»Die hat wieder einen neuen Freund, mit dem hängt sie jetzt die ganze Zeit rum, da haben wir nichts mehr zu melden.«
»Und, ist er nett?«
»Weiß nicht, kenn ich nicht, ist schon älter.«
Lea mochte diese Ein-Satz-Kommunikation überhaupt nicht, aber um im Gespräch zu bleiben, musste man manchmal seine Ansprüche den aktuellen Gegebenheiten anpassen.
Frederike kam in die Küche. »Wer hat einen neuen Freund?«
Diese Themen interessierten sie brennend. Aber das Gespräch mit Marie war bei so einer Frage immer sofort beendet. Der Mutter etwas zu erzählen, war schon uncool, mit der kleinen Schwester Beziehungsthemen zu erörtern, absolut unmöglich.
Im Obergeschoss klingelte schon wieder das Telefon.
»Dieses Gebimmel macht mich wahnsinnig. Freddy, läufst du bitte mal hoch und gehst ran?«
»Aach … nee!«
»Ach, bitte«, wiederholte Lea ihre Aufforderung. Mit demonstrativer Märtyrermiene machte sich Frederike auf den Weg zum Telefon. Lea schaltete die Espressomaschine ein und stellte eine Tasse unter die Ausgussdüsen. Frederike kam zurück, übersprang die letzten beiden Stufen der Treppe und rief: »Mama, der hat aufgelegt, als ich mich gemeldet habe.«
»Welcher Idiot ist das schon wieder?«, gab Lea zurück, »als ob wir nicht oft genug zu diesem Klingelapparat rennen!«
»Gestresst?«, fragte Marie ihre Mutter, die gerade ein weiteres Pizzastück vertilgte.
»Hm, kann schon sein, das Telefon macht mich manchmal wahnsinnig.«
Lea hatte das dringende Bedürfnis nach Ruhe. Tagelange Stille ohne einen Laut. Ein frommer Wunsch – denn abermals klingelte das Telefon.
»Ich gehe jetzt selber dran, und wenn das noch mal so ein Spezialist ist, dann kann er sich was anhören!« Lea ging in Sörens Arbeitszimmer und nahm den Telefonhörer aus dem Halter. »Johannsen«, meldete sie sich dann auch für ihre Verhältnisse recht schroff.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
»Zehn.«
Ein heller Klang fand den Weg in ihr Unterbewusstes, versetzte sie in einen unwirklichen Zustand. Die Einrichtung des Arbeitszimmers entfernte sich von ihr. Vor Leas Augen erschien das Rad des Schicksals. Zuerst nahm sie es lediglich mit unscharfen Umrissen in der Ferne wahr, doch dann kam es immer näher und näher und begann sich langsam zu drehen. Nun war der Augenblick gekommen. Sie musste ihre Reise antreten. Nur sie allein.
Wie ferngesteuert stellte Lea das Telefon zurück, ging aus dem Arbeitszimmer, öffnete die Tür des Garderobenschrankes, nahm ihre braune Lederjacke heraus, schlüpfte in flache Sportschuhe und griff nach dem Autoschlüssel auf der Konsole.
Frederike kam aus der Küche gelaufen. »Mama, ich wollte doch mitfahren, warte doch! Ich bin gleich fertig.« Mit großen Schritten lief sie ihr hinterher. »Mama, was ist denn los? Ist etwas passiert?«
Marie kam ebenfalls zum Gartentor. Die beiden Mädchen sahen verblüfft zu, wie Lea ihr Auto aufschloss, sich hineinsetzte und den Motor startete. Ohne auf ihre Umgebung zu achten, lenkte sie den Wagen auf die Autobahn, überquerte die Weisenauer Brücke in Richtung Frankfurter Flughafen. Wie jedes Mal, wenn sie über den Rhein fuhr, schaute sie kurz hinunter auf den großen Fluss. Aus einem Seitenarm kamen zwei Segelboote, oder waren es geisterhafte Barkassen aus einer anderen Welt? Plötzlich verwandelten sich die Schiffe in riesige Schwäne und erhoben sich in die Lüfte.
Lea zwang ihren Blick zurück auf die Fahrbahn; vor ihr fuhr ein riesiger LKW mit einem ebenso imposanten Anhänger. Sie musste schneller fahren, sie wusste, dass sie viel zu langsam fuhr.
Das Rad des Schicksals, es dreht sich schneller und schneller. Du folgst seinem Rhythmus.
Doch die Fahrbahn war eng, und sie hatte keine Chance, an dem Lastwagen vorbeizukommen. Wie sollte sie der Anweisung folgen?
Nach der Ausfahrt Rüsselsheim wurde der Verkehr flüssiger. Nun endlich konnte sie überholen, beschleunigte ihre Fahrt und fühlte sich befreit. Anders als sonst wurde sie bei diesem Überholmanöver nicht von der Angst überfallen, der Fahrer des LKWs könnte einen Schlenker machen und sein Anhänger wie ein riesiger Drachenschwanz die dahinter fahrenden Autos von der Fahrbahn schleudern.
Das Rad des Schicksals nimmt dich mit,
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