Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Termin in der Praxis. Lea wurde wieder wacher. Vielleicht hatte Cleo Frau van der Neer eher zufällig an sie verwiesen? Aus der Überzeugung heraus, dass sie einer sinnvollen therapeutischen Tätigkeit nachgehe, hatte sie es sicher nicht getan. Oder Cleo wollte nicht, dass es sich in der Szene herumspräche, dass sie ihre Probleme nicht ohne fremde Hilfe lösen könnten? Aus diesem Grund könnte sie Frau van der Neer nach Mainz geschickt haben. Eventuell war diese auch zu anstrengend geworden oder zu betreuungsintensiv?
Fünftes Kapitel
Das heiße Wasser lief an ihrem Körper hinunter. Sie ließ ihren Kopf nach vorne fallen, so dass der Wasserstrahl wohltuend über ihren Nacken rann und die Muskulatur sich langsam entspannte. Ihr Körper war noch immer schön. Immer und immer wieder hatte sie ihn betrachtet. Es war für sie eigen t lich unvorstellbar, dass er kein Zeichen trug. Unterhalb ihres Bauchnabels war die Haut nicht mehr so glatt wie vor zwanzig Jahren, aber ihre Beine zeigten keine durchscheinenden oder perlschnurartigen, verdickten Venen, die auf das Fortschreiten der Zeit hinwiesen.
Das Duschgel hinterließ auf der feuchten Haut den Duft nach Rosen, Jasmin, Maiglöckchen, Orangenblüten und einen Hauch von Bergamotte und Vetiver. »Jardins de Bagatelle«. Sie liebte diesen Duft, der seine eigene Geschichte hatte. Die Gärten, die dem Parfüm seinen Namen gegeben hatten, waren für Marie Antoinette angelegt worden. Bei ihrem letzten Besuch in Paris war sie in diesen Gartenanlagen spazieren gegangen.
Marie Antoinette, ein klangvoller Name. Sie hatte in Versailles lange vor dem Porträt der jungen französischen Königin gestanden, der eine so tragische Position in der Weltgeschichte zugewiesen worden war. Auf dem Gemälde von Elisabe t h Vigée-Lebrun war sie eine zarte, feingliedrige Frau. Erinnerungen an heftige Debatten im Geschichtsunterricht schoben sich in Susannas Bewusstsein. Ihr Mi t leid für die tragische Tochter der Maria Theresia hatte ihr Spott eingetragen. Es war nicht die Zeit gewesen für feinsinnige Betrachtungen über die Beding t heit des Menschen durch Zeit und Lebensumstände.
Susanna wusch sich das Shampoo aus dem langen Haar. Ihre Mitschüler waren ihr damals fremd gewesen. Die Absolution, die man sich selbst großzügig mit dem Hinweis auf alle mögliche Unbill erteilte, wollte man nicht ohne Not auch für andere Generationen gelten lassen.
Sie stellte das Wasser ab, trat aus der Dusche und trocknete sich ab. Dampf erfüllte das kleine Badezimmer in der Pension. Der Spiegel beschlug, und das Gesicht zeigte sich im Vorbeigehen darin wie ein geisterhafter Schatten. Der Duschvorhang klebte an der Wand.
Vielleicht sind wir alle auf verschiedene Weise verwirrt. Weil niemand sich die Mühe machte, genau hinzuschauen? Genauigkeit und Sorgfalt bremsten wohl den Aufruhr, der nötig war – für jede Revolution. Und zu viel Mitgefühl tat das vermu t lich auch.
Susanna hatte sich abgetrocknet und schlüpfte in einen weißen Frotteebademantel. Weich und duftig umhüllte er ihren nackten Körper.
So viele Jahre lang hatte sie Begehren und Liebe nicht auseinanderhalten wollen, um zu übersehen, dass es nicht die Liebe war, die sie umarmte. Doch die begehrenden, zär t lichen Gesten hatten ihrem Köper gutgetan, und er hatte das Gefühl an sie weitergegeben. So war sie ihm dankbar für das, was er ihr schenkte.
Sie ging zur Stereoanlage und drückte auf play. Chopins Klavierstücke ergriffen sie auf besondere Art. Diese Töne, die sich wie Tropfen zusammenfanden und gewaltiger wurden – Melancholie und Leidenschaft.
Nachdem die Vormittagssprechstunde vorüber war, nahm Lea die Visitenkarte von Kommissar Bender zur Hand. Sie griff zum Telefonhörer und wählte die angegebene Nummer im Polizeipräsidium am Valenciaplatz.
»K 3, Sandra Kurz«, meldete sich die junge Kollegin Benders am anderen Ende der Leitung.
»Johannsen, guten Tag, Frau Kurz, ist Kommissar Bender zu sprechen?«
»Nein, er ist zur Gerichtsmedizin gefahren und kommt erst gegen 16 Uhr wieder zurück. «
»Nun, ich glaube, ich habe in meinen Aufzeichnungen noch etwas gefunden, das eventuell weiterhelfen könnte.«
»Sehr gut, Frau Johannsen. Wir können jeden Hinweis gebrauchen. Wir haben uns übrigens, nach Rücksprache mit den hessischen Kollegen, wegen der beiden Namen Philipp und Madeleine mit dem ISG in Verbindung gesetzt. Dieses ›Institut für Spirituelle Gesundheit‹ bietet wohl eine Mischung aus
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