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Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Heeger
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winkte Lea ab. »Später, aber das war der entscheidende Hinweis, nach dem ich gesucht hatte, du bist genial.«
    »Das weiß ich schon länger, aber was war an dieser Frage so außergewöhnlich?«, wollte Sören nun endlich wissen.
    »›Cleo hat mich geschickt‹, hat Frau van der Neer gesagt.« Lea wurde ganz aufgeregt, »das hatte ich komplett übersehen.«
    »Ist das diese Cleo, mit der du zu Beginn des Medizinstudiums in einer Arbeitsgruppe zusammen warst?«
    Lea nickte. »Das war im ersten Semester, die Arbeitsgruppe ›Biologie und Chemie für Mediziner‹, genau.«
    »Aber dann hat sie doch später Psychologie studiert, nicht wahr?« Sören legte seine Stirn in Falten.
    »Stimmt!« Lea goss sich noch etwas Wein in ihr Glas. Cleo Hollmann, auch Holly genannt, aber nur zu Beginn des Studiums, später schien die Abkürzung nicht mehr passend angesichts der gewichtigen Dinge, mit denen sie sich beschäftigte. Angetan mit farbenfrohen Gewändern und bunten Tüchern um den Kopf war sie später durch die Räume eines Frauenzentrums im Frankfurter Stadtteil Bornheim geschwebt und hatte es verstanden, aus politisch motivierter Frauenbewegung und esoterischer Sinnsuche eine Verbindung zu schaffen, die besonders Frauen anzog, denen der politische Feminismus zu hart und zu kompromisslos erschien.
    Die Hohepriesterin, von der Susanna van der Neer gesprochen hatte – war hier die Verbindung, nach der sie gesucht hatte? War Cleo diese Figur? Doch selbst wenn dem nicht so war, bestand immerhin die Möglichkeit, dass Cleo Hollmann Näheres über Frau van der Neer wusste. Insbesondere über die Zeit vor ihrem Tod – vielleicht sogar über diese therapeutische Einrichtung, von der sie gesprochen hatte?
    »Ist die nicht bei sämtlichen Lehrgesprächen in Anatomie durchgefallen?«, erinnerte sich Sören zunehmend an Leas Geschichten aus ihrer Studienzeit.
    »Ist sie, und immer waren die anderen schuld. Eine Kommilitonin hatte sie darauf hingewiesen, dass man für Anatomieprüfungen einfach gründlich lernen müsse und dass es bei Muskelansätzen, Sehnen, Gelenkverbindungen und dem Verlauf von Arterien und Venen nichts zu diskutieren gebe.«
    »Und weiter?« Sören schien überaus interessiert an dieser alten Geschichte.
    »Nun, irgendwann hat Cleo bemerkt, dass ihr das Lernen nicht liegt, und es dauerte nicht lange, bis sie zu ihrer eigentlichen Berufung gefunden hat. Bei Protestaktionen gegen die unterschiedlichsten Missstände – Nicaragua, die aktuelle Approbationsordnung, Medizinerhierarchie, die klassische Psychiatrie – war sie in ihrem Element. Unerheblich, um welche politische Veranstaltung es sich gehandelt hat, sie ist am Ende ans Podium getreten und hat nochmals den Missstand angeprangert und darauf hingewiesen, dass man sich unbedingt, immer und mit aller Kraft, eben wie sie, engagieren müsse. Es waren stets dieselben Worte zu den verschiedenen Themen, was zur Folge hatte, dass sich die Hälfte des Saales aus dem Staub machte, wenn Cleo sich anschickte, das Mikrophon in die Hand zu nehmen.«
    Cleo musste wohl im Lauf ihres Engagements erkennen, dass sie zu ihrer persönlichen Ausstattung, die aus Trotz, Widerspruchsgeist und Selbstdarstellung bestand, noch subtileres psychologisches Handwerkszeug würde gebrauchen können.
    »Nachdem sich Cleo für Psychologie eingeschrieben hat, habe ich sie für einige Zeit aus den Augen verloren.«
    Sören hatte offenbar genug gehört, denn er verzog sich trotz vorgerückter Stunde mit der Tageszeitung auf seinen Lieblingssessel.
    Lea blieb am Esstisch sitzen, ging ihren Erinnerungen nach und überlegte, wann sie Cleo zuletzt wiedergetroffen hatte. Es waren sicher mehr als zwanzig Jahre vergangen bis zu einer Veranstaltung im Frankfurter Frauenzentrum in der Saalburgstraße vor etwas über einem Jahr. An das Thema erinnerte sich Lea vage, irgendetwas wie »Unterdrückung und Traumatisierung der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft und ihre Folgen«.
    Lea hatte Cleo sofort erkannt, als sie das Frauenzentrum betreten hatte. Mit ihren Locken, die einem Klimt-Gemälde entsprungen schienen, und ihrer üppigen Figur fiel sie überall auf. Der dunkelbraune Ton ihrer Haarpracht hatte sich in leuchtendes Tizianrot verwandelt gehabt, ein lilafarbener Kaftan umspielte locker ihren Körper. Die Verkörperung der Urmutter.
    Auch Cleo hatte Lea erkannt, als sie an der Garderobe ihre Jacke abgeben wollte, und hatte sofort losgelegt. »Na, Lea, dokterst du immer noch an den Menschen

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