Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
sicher für diese Jahreszeit zu kühl waren, neben das Grab und hielt eine lange, blumige Ansprache. Sie hat über Lebenswege gepredigt, über die vorgeburtliche Erfahrung, die in das Leben mitgebracht werde, die Notwendigkeit, in einer Gruppe Gleichgesinnter aufgehoben zu sein, den wahren geistigen Führer zu treffen und die spirituelle Suche nach dem eigenen vorgeschriebenen Weg. Bemerkenswert war auch die Aussage, dass bei dem Durchschreiten der Pforte, sie meinte wohl den Tod, offenbar wird, welche Aufgabe in diesem Leben erfüllt werden sollte. Den Angehörigen von Frau van der Neer fiel das Zuhören sichtlich schwer, zumal dem Vater, der sehr gebrechlich und abwesend wirkte.«
»Er leidet unter Demenz«, klärte Lea ihn auf.
»Ja, Frau Kurz, die ihn befragen wollte, hat so etwas in der Art angedeutet. Ich bin bislang noch nicht dazu gekommen, mir ihren Bericht anzuschauen.«
Lea ging die Ansprache auf der Beerdigung durch den Kopf. Pforte … Weg …
Franz Bender berichtete weiter. »Viele Aussagen dieser Trauerrede waren für mich verworren und schwer verständlich. Ich sehe häufig Tote, und wenn ich sie so sehe, erschossen in Hinterhöfen, aus Eifersucht erwürgt oder mit zerschmettertem Schädel nach einem Raubüberfall, fällt es mir schwer zu glauben, dass sie irgendwelche Pforten durchschreiten. Allenfalls gilt das mit viel Phantasie für diejenigen, die friedlich auf dem Sofa liegen, wenn sie ihrem Leben durch eine Überdosis Schlaftabletten ein Ende gesetzt haben.«
Lea hatte den gleichen Gedanken.
»Stellen Sie sich vor: Die Rede wurde noch bizarrer. Der betroffene Tote, wenn man einen Toten als Betroffenen bezeichnen will, soll seine Zustimmung zum Tod gegeben haben.«
»Wie bitte?« Diese Ansicht war zu abstrus, als dass Lea sie auf Anhieb verstand.
»Sie haben richtig gehört. Das bedeutet im Klartext, dass ein vergewaltigter und ermordeter Teenager dies in irgendeinem früheren Leben mit dem Täter vereinbart hatte. Verrückt, oder?«
»Das ist wirklich verrückt«, stimmte Lea zu. »Eigentlich mein Spezialgebiet, aber gemeinschaftlicher Wahn kommt selten in die Psychiatrie.«
»Diese Leute wirken völlig überzeugt und, sagen wir mal, glaubensfest.« Der Kommissar rutschte hörbar mit seinem Schreibtischstuhl. »Nun, um solche Überzeugungen ging es bei der Trauerrede und um die Fähigkeiten, den Lebensweg zu sehen.« Er seufzte resigniert. »Na ja, vielleicht fehlen mir einfach seherische Qualitäten?«
»Das könnte Ihren Beruf um einiges erleichtern.« Lea versuchte, das düstere Thema aufzuhellen, da ihr Franz Bender irgendwie ans Herz gewachsen war. Hinter seinem nüchternen Auftreten ahnte man einen nachdenklichen, wohlwollenden Menschen, trotz der vielen Abgründe und Katastrophen, denen er in seinem Beruf gegenüberstand. Lea glaubte ohnedies nicht mehr daran, dass die Lebensumstände den Menschen im Innersten wesentlich beeinflussten, abgesehen natürlich von wirklichen Katastrophen. Für sie kam der Mensch weitestgehend vorgeformt mit seinen wesentlichen Charaktereigenschaften auf die Welt. Ein Kind, das sich unbeirrt seinen Platz in der Welt eroberte, würde die Welt auch später als Abenteuerspielplatz ansehen. Und auch, wenn sie einen großen Teil ihrer Zeit damit beschäftigt war, denjenigen Mut zuzusprechen, die zaghaft und ängstlich den täglichen Anforderungen gegenüberstanden, wusste sie doch um die Bescheidenheit der Fortschritte, die sie erzielen konnte.
Lea erinnerte sich, dass sie sich in einem Gespräch befand, und setzte hinzu: »Nicht wahr, Sie könnten sich einiges an Ermittlungsarbeit sparen, wenn Sie eine große Kristallkugel hätten.«
Bender lachte kurz. »Mal sehen, was die von der Beschaffungsstelle dazu sagen. Wenn ich Glück habe, halten Sie es für einen Tippfehler, wenn ich Pech habe, werde ich auf Polizeidiensttauglichkeit überprüft.«
»Ich würde mich unter Umständen als Gutachterin zur Verfügung stellen!«
Der Kommissar war ein wenig aus dem Konzept gebracht. »Noch mal zurück zu Frau van der Neer. Von dieser Reise an den Genfer See haben wir bislang nur einen Namen. In der Pension in Vevey, in der sich Frau van der Neer eingemietet hatte, erfuhren wir, dass eine weibliche Person nach Frau van der Neer gefragt hatte. Zum Glück hat die Pensionswirtin den Namen der Frau auf einen Zettel geschrieben, auf dem die Extras notiert waren. Dieser befand sich bei der Gesamtrechnung.«
»Wenigstens auf die Ordentlichkeit von Schweizer
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