Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
hoffte, sie für unsere Familie, unsere Lebensweise wiedergewinnen zu können. Natürlich habe ich ihr gesagt, dass ich begeistert bin. Sie sagte jedoch deutlich zögerlicher ›Ich werde es mir noch überlegen‹. Ich hatte den Eindruck, dass sie hin und her gerissen war. Doch sie hat sich nach dem Abitur wirklich in Bologna für Kunstgeschichte eingeschrieben. Der Kontakt zu Ellen wurde weniger. Das war jedenfalls mein Eindruck, und Sie können sich sicher vorstellen, wie glücklich ich darüber war. Unsere Mutter hatte bei den wenigen Kontakten, die sich so nach und nach ergaben, ebenfalls den Eindruck, dass Susanna sich in einer Umbruchphase befand. Ungefähr drei Jahre, nachdem Susanna unser Elternhaus verlassen hatte, versuchte Mutter, zu Susanna wieder eine Verbindung herzustellen. Dies sollte leider der letzte Versuch bleiben, bevor sie starb. Mutter drängte Vater dazu, Susanna zu beauftragen, mit ihr nach England zu unseren Freunden und Geschäftspartnern zu fahren. Susanna hatte mittlerweile einige Semester Kunstgeschichte studiert, und er bat sie, einige wertvolle Möbelstücke persönlich anzuschauen und zu begutachten. Über die Reise haben meine Mutter und auch Susanna nie viel gesprochen. Aber ich weiß, dass sie David, ihre erste große Liebe, damals wieder getroffen hat. Ich denke, dass meine Mutter insgeheim gehofft hat, dass die beiden wieder zueinanderfinden würden. Es kam wohl anders. Meine Mutter sagte danach einmal: ›Sie ist verändert, Susanna hat sich selbst verloren.‹ Das beschreibt wohl am deutlichsten, was mit Susanna passiert war. Im Winter nach dieser Reise ist Mutter an einem Herzinfarkt gestorben.«
Lea hatte die ganze Zeit konzentriert seiner Erzählung gelauscht. Sie beugte sich nun vor und nahm wieder die Wirklichkeit des Cafés wahr.
»Eine traurige Geschichte.«
Die Vorstellung, eines ihrer umhegten und ihr bis in die feinsten Eigenheiten vertrauten Kinder in einer solchen Umgebung wiederzufinden, mitzuerleben, wie man ihre Persönlichkeit verbog, schnürte ihr den Hals zu.
»Die Wut Ihres Vaters kann ich begreifen«, sagte sie und stellte sich vor, wie Sören in diesem Raum reagiert hätte.
»Es war überwiegend Verzweiflung«, berichtigte Johannes. »Vater war in den nächsten Jahren noch häufig verzweifelt. Wir haben Ihnen das alles erzählt, damit Sie wissen, was mit Susanna geschehen ist, wie sie zu der geworden ist, die Sie kennengelernt haben.«
Lea nickte. Sie fand, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, ihrerseits etwas über Susanna mitzuteilen. »Wie Sie vielleicht wissen, war Ihre Schwester nicht sehr häufig bei mir. Sie kam vor etwa einem Jahr zum ersten Mal in die Praxis und befand sich in einem psychischen Ausnahmezustand. Sie sprach von Schuld, vom Teufel und dem Weg. Von einer Zahl. Es war ausgesprochen verwirrend. Ich versuchte zu verstehen, was sie damit meinte, aber ich hatte den Eindruck, dass sie mir nicht genug vertraute. Später ging es um Albträume, Schlafstörungen und ihren Lebensweg.«
In dem Moment, als Lea es aussprach, wurde ihr schlagartig klar, dass es dieses fehlende Vertrauen war, das an ihr nagte und ihr ein Gefühl von Inkompetenz vermittelte. Dieses unangenehme Gefühl war es, was sie in Wahrheit an diese Geschichte band.
»Ich … ich weiß nicht, wieso Ihre Schwester sich mir nicht anvertrauen konnte, ich habe sie nicht verstanden.«
Lea fand kein abschließendes Wort. Sie hatte nichts Greifbares.
Johannes van der Neer saß auf seinem Stuhl und ließ die Schultern hängen, eine Position, die nicht zu ihm passte. Alexander van der Neer hatte die Augen geschlossen und sich zurückgelehnt.
Die Bedienung kam an ihren Tisch. »Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«
»Nein, danke, ich muss ohnehin gleich aufbrechen«, sagte Lea und wandte sich Alexander van der Neer zu, da ihr noch etwas eingefallen war. »Ihre Schwester hat mir von einer therapeutischen Einrichtung erzählt, in der sie betreut wurde. Wissen Sie etwas darüber?«
Er schüttelte überrascht den Kopf.
»Und sie hatte Kontakte zum Frauenzentrum in Frankfurt, davon wissen Sie aber?«
Sie hörte sich schon an wie Frau Kurz, bemerkte Lea kritisch sich selbst gegenüber. Die beiden Männer empfanden es offensichtlich nicht so, denn Alexander van der Neer antwortete ohne Zögern.
»Zu dem Frauenzentrum in Frankfurt und zu anderen diesem nahestehenden Organisationen hatte sie schon viele Jahre Kontakte. Viel Hilfe hat sie meines Wissens dort nicht bekommen. Einige
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