Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
dieser Verbindungen reichten, glaube ich, sogar in die Zeit nach ihrem Auszug von zu Hause zurück. Susanna hat viele Therapieangebote ausprobiert, aber sie war immer enttäuscht.«
»Am Samstag, morgen, ist die Beerdigung«, kam es unvermittelt von Johannes van der Neer, »und am Montag die Testamentseröffnung.«
Die ratlose Stille, die sich nach diesem Satz einstellte, wurde nach einer Weile unangenehm.
Lea hatte auf einmal das dringende Bedürfnis, die Brüder Susanna van der Neers, diesen Tisch und das Café zu verlassen – überhaupt alles zu verlassen, was mit diesem Todesfall in Verbindung stand. Ein wenig zu abrupt griff sie daher nach ihrer Tasche. »Ich muss jetzt leider gehen, … es tut mir leid.« Nachdem sie bei der Bedienung ihre Rechnung beglichen hatte, verabschiedete sie sich von Alexander und Johannes van der Neer. Sie waren zu höflich, um sich ihre Enttäuschung anmerken zu lassen, aber Lea nahm doch eine Spur davon wahr. »Ich hätte Ihnen gerne weitergeholfen. Ob man die Tat hätte verhindern können – ich weiß es wirklich nicht.«
Dass die Nachmittagssprechstunde kürzer war als erwartet, da die letzte Patientin abgesagt hatte, kam Lea gerade recht. Den zeitigen Feierabend konnte sie an diesem Tag gut gebrauchen.
Doch die Ampeln waren überwiegend rot; so zog sich der Heimweg in die Länge. Leas Gedanken kreisten: Werden wir von anderen von unserem Lebensweg abgelenkt und hören nur zu gerne auf die fremden Stimmen, aus Neugier, Abenteuerlust oder Mangel an eigenen Ideen? Was hatte Ullrich neulich gesagt? Er hatte einen Philosophen zitiert, dessen Namen sie vergessen hatte, der aber ausnahmsweise nicht aus der Antike stammte. Besagter Philosoph beschäftigte sich mit dem »Man«. Gemeint war damit die Umgebung der Mitmenschen, die Urteile und Entscheidungen vorgab und dem Einzelnen vorgaukelte, dass sie ihm seine Entscheidungen und die Verantwortung abnehmen könne. »Aber dieses ›Man‹ kann natürlich alles verantworten, weil es dafür nicht geradestehen muss. So läuft die Verführung durch die Masse, durch die sogenannte Mehrheitsmeinung. Auch geht es darum, dass viele Menschen bei einer Entscheidung nicht bedenken, was die Grundlage für diese ist. Und damit wären wir wieder bei Sokrates angekommen«, hatte Ullrich sein kleines Referat beendet.
»Alles andere hätte mich auch erstaunt«, hatte Lea ihm amüsiert geantwortet. Ohnehin hatte sie oft genug das Empfinden, als habe sie eine Gemeinschaftspraxis mit Sokrates, Platon, Aristoteles, Cicero und Ullrich.
Das Hupkonzert hinter Lea setzte sämtlichen philosophischen Gedanken abrupt ein Ende. Der Blick auf die Ampel zeigte, dass diese definitiv grün war. Leider würgte sie vor lauter Schreck den Motor ab, mit dem Effekt, dass das Hupen von neuem begann. »So ein Mist«, entfuhr es ihr, und sie hob entschuldigend die Hand Richtung Rückspiegel, bevor sie den Schlüssel herumdrehte, um den Wagen anzulassen.
Achtes Kapitel
Zwei Tage später rief Kommissar Bender am späten Vormittag in der Praxis an und teilte Lea mit, dass Cyclobarbital in Frankreich noch in der vorgefundenen Konzentration im Handel erhältlich sei. Lea berichtete ihm ihrerseits von den Informationen, die sie bei dem Treffen mit den Brüdern van der Neer erhalten hatte.
»Wohl doch eine spirituelle Gruppe …«, meinte Kommissar Bender nachdenklich zu den Begebenheiten am Genfer See. »Die beschaffen aber nicht unbedingt Arzneimittel, damit sich ihre Schäfchen das Leben nehmen. Eher bringen sie sich gemeinschaftlich um. Oder sie ziehen irgendeinen Gewinn aus deren Tod.«
Dieser Überlegung konnte Lea nicht widersprechen.
»Ich war vorgestern auf der Beerdigung von Frau van der Neer«, fuhr Franz Bender fort.
Lea erinnerte sich. »Ach, das war ja am Samstag, richtig.«
Kommissar Bender sprach weiter. »Die Beerdigung fand in Frankfurt auf dem Hauptfriedhof statt, eine bemerkenswerte Beerdigung. Eine zweigeteilte Gruppe, diese Trauergemeinde. Konservativ zurückhaltend der eine Teil, besonders und irgendwie nicht von dieser Welt der andere. Die Trauerreden waren ebenfalls verschiedenartig. Der Bruder von Frau van der Neer, der Priester aus Passau, sprach sehr eindringlich. Man spürte die Intensität, mit der er von Gott sprach, von der Schöpfung und von der Geborgenheit in Gottes Hand. Schön, wenn man so glauben kann.« Lea meinte, einen sehnsüchtigen Unterton herauszuhören. »Anschließend stellte sich eine Frau in weißen Gewändern, die
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