Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
einem Bereich unterhalb des Brus t beines arbeitete sie sich wie ein mehrarmiges Tier in ihrem Inneren nach oben. Susanna wusste, wenn sie jetzt warten musste, würde sie es nicht schaffen, hier zu bleiben.
»Das geht nicht, ich brauche Hilfe, bitte!« Ihre Stimme wurde brüchig wie ihre seelische Verfassung. »Ich weiß, Sie können, Sie müssen Notfälle immer sofort behandeln. Ich kann wirklich nicht warten, bitte!«
Im Supermarkt herrschte hektische Betriebsamkeit. Man konnte die Vermutung haben, sämtliche Läden würden ab dem nächsten Tag bis auf weiteres schließen, oder in Mitteleuropa drohe eine Hungersnot ungeahnten Ausmaßes. Lea kurvte mit ihrem Einkaufswagen durch die Gänge und griff mit schlafwandlerischer Sicherheit in die Regale. Hinter ihr drängelte sich ein Mann, der als Sumo-Ringer nach Japan gepasst hätte, an ihr vorbei. Er rempelte ihren schon reichlich gefüllten Einkaufswagen im Vorbeifahren an, als befänden sie sich im Autoskooter. Fatalerweise schoss Leas Wagen in eine ungünstige Richtung. Sie konnte gerade noch den Einsturz einer Wand von Konservendosen mit Mais verhindern. Der Mann hatte davon nichts bemerkt und beugte sich, soweit das sein beträchtlicher Leibesumfang zuließ, in die Kühltruhe, in der abgepackte Schweinenackensteaks, vorpanierte Schnitzel und Bockwürste lagerten. Kopfschüttelnd blickte Lea ihm nach, ihr Blick traf sich mit dem eines jungen, gebräunten Mannes, der die Situation wohl beobachtet hatte. Er wirkte als sei er einem Katalog für Trendsportartikel entsprungen, und man traute ihm durchaus zu, sein Surfboard draußen am Fahrradständer geparkt zu haben. Er lächelte sie an und zwinkerte ihr mit einem Auge zu.
Lea, er könnte dein Sohn sein, rief sie sich halbherzig zur Ordnung, konnte aber nicht verhindern, dass Röte ihren Hals überzog. Das kam eher selten vor. Das letzte Mal war ihr das vor mehr als fünfundzwanzig Jahren passiert, als Sören sie in der Kantine der Frankfurter Universitätsklinik angesprochen hatte. Sie hatten nebeneinander in einer Schlange vor den Tellern mit verschiedenen Sandwiches gestanden und gleichzeitig nach dem letzten Lachsbrötchen gegriffen. »Das überlasse ich gerne dir«, hatte Sören mit einem gewinnenden Lachen gesagt, »unter einer Bedingung.« – »Und die wäre?« Lea hatte leider sofort gespürt, dass sie unter dem Blick dieses selbstbewussten Mannes die Gesichtsfarbe eines Sonnenuntergangs annahm. »Du kommst mit mir nach Schweden, und wir angeln uns den nächsten Lachs persönlich.« Lea hatte sich verschluckt, ohne irgendeinen Bissen im Mund gehabt zu haben, und Sören hatte ihr freundschaftlich auf den Rücken geklopft. Drei Wochen später standen sie gemeinsam an der Reling einer Fähre auf dem Weg nach Göteborg. Lachse fingen sie in diesem Sommer keine.
Ach, wir haben ja keine Butter mehr! Leas Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, und sie bewegte sich in Richtung Milchprodukte. Als sie bei den Getränken vorbeikam, sah sie den Jüngling wieder, dem sie ihren kurzen Ausflug in vergangene Zeiten verdankte. Er wurde von einer langbeinigen Schönheit untergehakt.
Nach kurzer Zeit waren die elementaren Lebensmittel im Einkaufswagen verstaut, und Lea machte noch einen Abstecher in den Bereich, in dem die Süßwaren lagerten. Im häuslichen Kühlschrank hatte Schokolade, trotz aller Hinweise auf die Grundlagen einer gesunden Ernährung, eine deutlich kürzere Halbwertszeit als Joghurt. Lea hatte es aufgegeben, die Vorzüge der einzelnen Lebensmittel unter gesundheitlichem Aspekt zu predigen, sie machte lediglich bei der Wiederbeschaffung der Schokoladenvorräte gelegentlich eine längere Pause. Als sie gerade zur Mousse-au-Chocolat-Variante griff, vernahm sie hinter sich eine wohlklingende Stimme.
»Gute Wahl, aber auch ›Ganze Mandel‹ ist lecker.«
Lea wandte sich um und blickte überrascht in das Gesicht des Kommissars. »Ah, Herr Bender! Was machen die Bösewichter in Mainz, wenn Sie hier Schokolade kaufen?«
»Schokolade hebt die Stimmung und fördert den Denkprozess, die Ermittlungen gehen besser voran. Die Bösewichter werden schon sehen! Da bin ich sogar bereit, meine Figur zu opfern.« Er legte seine Hand auf den sich deutlich vorwölbenden Bauch und rückte den Gürtel seiner Hose zurecht.
Lea musste lachten. Dann wurde sie schnell ernst und fragte: »Gibt es irgendwelche bedeutsamen Neuigkeiten?«
Sie gingen gemeinsam weiter durch den Discounter in Richtung Kaffeeregal. Dort standen
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