Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
legte auf. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte während ihrer langen ärztlichen Tätigkeit niemals ein Patient ein Wort über Tarot, Astrologie oder Wahrsagen verloren. Vielleicht wollte man sie als Ärztin nicht mit der okkulten Konkurrenz konfrontieren? Weil moderne Medizin und Geheimlehren einfach nicht zusammenpassten? Wie auch immer, bislang hatte sie keinen Grund gehabt, darüber nachzudenken.
Ihr Magen knurrte so laut, dass Lilly, die neben Lea auf dem Fußboden gelegen hatte, sofort aufsprang. »Schon gut, Lilly, ich habe nur Hunger.« Wenn jemand dafür Verständnis hatte, war es Lilly, und so trottete sie gespannt hinter Lea her, als diese in die Küche ging, um Ausschau nach etwas Essbarem zu halten.
Die Parkplatzsuche in Mainz erwies sich als schwierig. Hatte Cleo ihr zufällig oder mit Absicht eine Mainzer Adresse genannt? Sie lenkte ihren Wagen von der Rheinallee zum Parkhaus eines Kaufhauses in der Nähe der Augustinerstraße.
Während der Autofahrt hatte sich ihre Panik etwas gelegt. Durch die Konzentration auf den Straßenverkehr waren ihre Gedanken in andere Bahnen gelenkt worden, und das heftige Klopfen in ihrer Brust hatte sich abgeschwächt. Sie war sich nicht sicher, welche Hilfe sie erwartete. Was konnte sie dieser Ärztin erzählen? Zu dem Weg, den sie begonnen hatte, würde sie nichts erfahren. Oder vielleicht doch?
Susanna spürte, dass sie die Unruhe und das Gefühl eines drohenden Unglücks nicht mehr lange würde aushalten können. Sie hatte geglaubt, der Teufel würde ihr die Gefangenschaft in ihrem eigenen Lebensweg vor Augen führen. Dass er nur ein Symbol war, hatte sie gedacht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie bedrohen, Macht über sie bekommen würde.
Sie zog den Parkschein aus dem Automaten am Eingang, und die Schranke hob sich. Sie fand einen Parkplatz im zweiten Obergeschoss und ging durch die Betten- und Heimtextilienabteilung zur Rolltreppe. Der Anblick des Alltäglichen störte sie. Sie hatte die Welt der Tischtücher und Spannbet t laken schon lange verlassen. Die Rolltreppe brachte sie ins Erdgeschoss, wobei sie sich zwang, nicht an zwei korpulenten Damen vorbei hinunterzulaufen. In der Parfümerieabteilung überlagerte ein süßlicher Rosenduft die ansonsten stickige Luft. »Haben Sie schon unsere Kundenkarte?«, wurde sie von einer Dame mit t leren Alters mit strenger Brille gefragt, kurz bevor sie den Ausgang erreicht hatte. »Ich brauche keine, vielen Dank«, versicherte sie schnell und eilte nach draußen.
Sie orientierte sich Richtung Leichhof und wandte sich schließlich nach links in die Augustinerstraße. Zwischen Frauen, die Besorgungen machten, und pubertierenden Schülerinnen, die ihre Shoppinggelüste befriedigten, sah man immer wieder Reisegruppen. Diese standen wie Trauben um einen Touristenführer herum und schauten auf Kommando gleichzeitig in die eine oder andere Richtung.
Das Haus, das sie suchte, befand sich am Ende der Augustinerstraße. Sie blieb vor dem Gebäude stehen, las das Praxisschild und drückte auf den Klingelknopf. Als sie den Summton hörte, straffte sie ihre Schultern und betrat das Treppenhaus. Entschlossen stieg sie zur ersten Etage hinauf. Sie überzeugte sich vor der Tür erneut, dass sie die richtige Adresse aufgesucht hatte, und betrat die hellen Räume. Eine sympa t hische Dame mit t leren Alters mit einem ehrlichen, gutmütigen Gesicht saß hinter der Anmeldung und fragte sie freundlich nach ihrem Namen. Nachdem sie ihn genannt hatte, nickte die Frau und suchte den Namen in dem aufgeschlagenen Praxistimer, der vor ihr auf dem Tisch lag. Wie sie darin etwas erkennen konnte, war kaum vorstellbar, denn er war überfüllt mit Namen, Telefonnummern, Ausrufezeichen und farbig hervorgehobenen Anmerkungen sowie mit Klebezetteln dekoriert. Die Frau schien damit jedoch keinerlei Schwierigkeiten zu haben, sie fand sofort eine leere Stelle und trug den Namen ein. »Sie müssen leider noch kurz warten, bitte nehmen Sie im Wartezimmer Platz.«
Die medizinische Atmosphäre verunsicherte und beunruhigte sie. Es war die Wirkung einer anderen Ordnung, die sie daran zweifeln ließ, ob sie ihre Fragen würde stellen können, ob sie hierherpassen würden. Vielleicht würde die Ärztin sie sogar für durchgedreht, für verrückt halten. Würde sie sie überhaupt verstehen? Durfte sie mit ihrer Angelegenheit hier Hilfe erwarten? Sie kam sich mit einem Mal töricht vor, dieses Gefühl veränderte sich, wurde zu Angst, zu Panik. Von
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