Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Äppel verlorn unn lässt sä eifach liesche. Wie blöd muss mer sein.«
Nachdem Lea ihren Euro aus der Vertiefung des Verschlussmechanismus herausgeangelt hatte, sammelte sie die Äpfel ein. Nur einer war von einem PKW überrollt worden. Die Dialektdame war glücklicherweise im Supermarkt verschwunden. Dick und doof, entschied Lea. So eine kleine heimliche Gehässigkeit förderte die persönliche Seelenhygiene.
Als Lea zu Hause eintraf, war es angenehm still. Frederike war bei einer Freundin zum Geburtstag eingeladen, Jonas musste nach dem Basketballtraining angeblich mit seinem Freund ein Geschichte-Referat ausarbeiten – nach Aussagen der Kinder bestand die Haupttätigkeit der Schüler heutzutage darin, Referate zu halten –, und Marie hatte Proben für eine Jazz-Dance-Aufführung.
Lilly folgte Lea wie immer Richtung Kühlschrank. Irgendwie ärgerte Lea sich immer noch über den Spruch auf dem Parkplatz, eigentlich jedoch mehr darüber, dass sie sich noch ärgerte, und suchte ein großes Stück geräucherte Forelle aus. Lilly konnte ihr Glück kaum fassen. Ihre dankbar schlabbernde Zunge und ein Blick intensivster Zuneigung versöhnte Lea wieder mit der Welt, dem Leben und dem Supermarkt. Für boshafte Kommentare und ungerechtfertigte Kritik war sie über die Maßen sensibel. Nachdem sie fast fünfzig Jahre vergeblich daran gearbeitet hatte, sich ein dickeres Fell zuzulegen, hatte sie beschlossen, dass jede Lernfähigkeit begrenzt sei.
Im Arbeitszimmer kämpfte sie sich in den folgenden Stunden durch die Papierflut, die dem Durchschnittsbürger durch die Bürokratie zugemutet wird.
Nach zwei Stunden klingelte erfreulicherweise das Telefon. Frederike orderte einen Rücktransport. Lea sprang nicht ganz unerfreut ins Auto und fuhr auf der Wormser Straße in Richtung Bodenheim. Das Handy meldete sich. Nachdem sie die Freisprechfunktion gedrückt hatte, hörte sie Elisabeth: »Hallo Lea, störe ich dich?«
»Nein«, sagte Lea nicht ganz wahrheitsgemäß, »ich hole gerade Frederike von einem Kindergeburtstag ab.«
»Okay, du sitzt im Auto, ich mache es kurz. Kannst Du am Samstag zu der Veranstaltung kommen, von der ich dir erzählt habe? Jugendliche und Sekten.«
»Ach, ich habe noch nicht im Kalender nachgeschaut, tut mir leid, Elisabeth. Aber ich rufe dich sofort an, wenn ich wieder zu Hause bin. Bist du denn zu Hause?«
»Bin ich, kein Problem, bis dann. Tschau.«
Elftes Kapitel
Susanna stand immer noch vor der Anmeldung. Um sie herum herrschte Betriebsamkeit. Die Arbeitsabläufe der Praxismitarbeiter schienen – wie von einem Generalcomputer organisiert – stetig ineinanderzugreifen. Die Dame an der Anmeldung blieb hart.
»Sie müssen trotzdem erst mal im Wartezimmer Platz nehmen.«
»Nein, das geht nicht!« Susanna hatte das Gefühl, einem Wasserfall entgegenzutreiben, und der rettende Ast entglitt unerbit t lich ihren Fingern. »Bitte, ich kann nicht mehr, ich muss sofort mit dieser Ärztin sprechen, bitte.« Ihre Hände verkrampften sich um den Henkel ihrer teuren Ledertasche.
Sie hörte hinter sich eine neue Stimme fragen: »Was ist denn das Problem?«
Sie drehte sich um und stand vor einer zierlichen Person, die sie mit offenem Blick anschaute, vielleicht die Ärztin, die sie gesucht hatte. Sie schöpfte Hoffnung und wollte aufs Neue erklären, warum sie es nicht länger aushalten konnte. Sie zitterte vor Anstrengung, es kostete sie ungeheure Kraft, ihre Panik in Zaum zu halten.
»Frau Doktor, erst kommt Frau Reiboldt, danach hätten wir ein bisschen Luft.«
»Ich weiß, Frau Witt, aber ich denke, Frau Reiboldt kann einige Minuten länger warten. Sprechen Sie mit ihr, bitte.«
Susanna folgte der Ärztin ins Sprechzimmer, doch bevor sie die Tür hinter ihr schließen wollte, brauchte sie Gewissheit.
»Sind Sie Frau Doktor Johannsen?«
Als die Ärztin nickte, ging sie weiter und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Die Tür wurde geschlossen. Der Raum war ansprechend, aber zurückhaltend eingerichtet. Zwei Bilder bestimmten die Atmosphäre. Sie war überrascht über die Auswahl. Eine Reproduktion von »Der Tanz« von Henri Matisse war an der Wand hinter dem Schreibtisch platziert, so dass die Augen aller Patienten unwillkürlich dor t hin wanderten. Die Frauen, die sich im Kreis tanzend bei den Händen hielten. Gleichklang, Gemeinschaft, Lebensfreude. Wie das Plakat, das den Vortrag über die Hohepriesterin angekündigt hatte. Die Erinnerung glitt durch ihre Gedanken. Das
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