Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
haben?«
Lea atmete tief durch. Die von ihr gewählte Erklärungsvariante war am plausibelsten, wenn sie die Richtung alternativ, esoterisch und frauenbewegt weiter ausbaute. Sie sammelte sich wie eine Schauspielerin auf der Bühne, kurz bevor der Vorhang aufgeht, trat einen Schritt auf den Mann zu, streckte ihm burschikos die Hand entgegen und sagte: »Okay, ich bin Lea, hi! Cleo hat mir von eurem Institut erzählt, die hat mir vorgeschwärmt, wie super eure Arbeit hier ist, echt.«
Der Wechsel vom distanzierenden Sie zum vertrauten Du unterstrich das neue Konzept. Leider fiel die Resonanz weiterhin unklar aus. Der Mann blickte sie abschätzend an und verzog keine Miene.
Lea fiel der Kernsatz der Kommunikationspsychologie ein: »Spärliche Reaktionen im Rahmen der Kommunikation strahlen immer Überlegenheit aus und lösen beim Gegenüber das Bedürfnis nach mehr aus. Nach einem Mehr an Mimik, Gesten oder längeren Sätzen, nach irgendetwas, worin der emotionale Anteil der Unterhaltung transportiert wird.« Sie ärgerte sich, dass auch sie auf dieses Spielchen hereinfiel.
Sein Blick lag noch immer auf ihrem Gesicht. Und noch eine Runde warten, dachte Lea. Die Stimme der Leiterin der Welpenspielgruppe von Lilly ertönte in ihrem Hinterkopf. Diese hatte ihnen erklärt, dass die untergeordneten Hunde, also auch die Welpen, zahlreiche Verhaltensweisen der Unterwürfigkeit im Repertoire hätten, die Dominanzhaltung des Rudelführers hingegen sich durch spärliche Bewegungen und Ignoranz ausdrückte. Lea beherrschte sich und wartete weiter.
Dann schien es wohl genug zu sein. Der Mann nickte ihr zu. Offensichtlich hatte er sich entschieden, wie weiter verfahren werden sollte. Er forderte sie mit einem Wink auf, ihm in das Gebäude zu folgen. Lea ging beklommen hinter ihm her. Es fiel ihr auf, dass er nicht einmal die übliche Höflichkeitsregel beachtete, ihr beim Betreten des Foyers den Vortritt zu lassen. Ganz abgesehen davon, dass er es wohl für überflüssig hielt, sich ihr vorzustellen. Ob er Marcion höchstpersönlich war?
Die schwere Eingangstür fiel mit einem metallenen Klicken ins Schloss, und Lea stand in einer erstaunlichen Vorhalle. Sie war rund gemauert wie eine romanische Kirche; strahlenförmig führten zahlreiche Gänge von ihr weg. Gegenüber dem Eingang führte eine imposante Treppe mit einem kunstvollen Geländer aus Edelstahl und eingefassten blauen Glasreliefs in den ersten Stock. Der Blick nach oben zeigte ein rundes Dachgewölbe, in das ebenfalls blau getönte, formvollendete Reliefscheiben eingesetzt waren.
Leise Schritte lenkten Leas Blick wieder nach unten. Aus einem Seitengang näherten sich zwei junge Frauen in weißen Tuniken über schmalen weißen Hosen. Beide waren schlank, hatten lange rötlich-blonde Haare und trugen einen schlichten Haarreif. Der Ähnlichkeit nach mussten sie Zwillinge sein. Die Tempeldienerinnen!, aktivierte Lea ihre Erinnerung an den Bericht von Professor Wiegand.
»Nehmt unserem Gast den Mantel ab und begleitet die Dame zu unserem Vorbereitungsraum.«
Das hörte sich irgendwie nicht gut an.
»Vorbereitung worauf?«
»Sie werden sehen.« Der Mann schaute sie dabei nicht an.
»Also wirklich, das ist sehr freundlich, aber ich muss wieder zurück zu meinem Fortbildungskurs und …« Die beiden Frauen musterten Lea missbilligend. »Vielleicht hätten Sie eine Beschreibung der Kurse, der Kurstermine und der Gebühren, am besten eine Übersicht?«
Lea versuchte mühsam, in einen unverbindlichen Bereich dieser Aktion zurückzugelangen in der Hoffnung, damit einem schnellen Abschied näher zu kommen.
»Gewiss haben wir solche Unterlagen, und Sie werden sie auch erhalten«, entgegnete der Mann und taxierte Lea erneut mit seinen ungewöhnlich hellblauen, fast farblosen Augen. Die durchleuchtende Wirkung wurde geringfügig durch ein angedeutetes Lächeln kaschiert. »Wir möchten allerdings sichergehen, dass Sie keinen falschen Eindruck von unserer Vereinigung bekommen. In unserem Bereich wird man schnell Opfer einer Verleumdungskampagne.«
Der Mann hielt sie auf Abstand. Lea konnte nicht erkennen, ob er irgendetwas an ihrer Geschichte geglaubt hatte. Sie beschloss mit einem unguten Gefühl, das Spielchen mitzuspielen. Es war bereits 17 Uhr. Bis 18 Uhr sollten die Vorträge dauern. Aber sie beschlich das Gefühl, keine Wahl zu haben.
»Na gut«, stimmte sie zu, »wenn es nicht zu lange dauert. Einen Vortrag kann ich versäumen.«
Langsam zog sie ihren feuchten
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