Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
resigniert die Schultern. »Nun, meine Eltern und zu meiner größten Enttäuschung auch meine Großmutter, die diese Engel im Theater immerhin auch gesehen hatte, haben mir die Geschichte mit den Engeln ausgeredet. Aber, wie du siehst, hat mich das Thema nie ganz verlassen. Jetzt forsche ich immer noch im Bereich des Mystischen und Magischen.«
Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her. Lea versuchte, die Hände in den Taschen ihres Mantels aufzuwärmen. Sie folgten der Markierung eines grünen Eichenblatts. Der Rundwanderweg – 1,5 km – führte beachtlich steil abwärts.
»Das müssen wir alles wieder hinauflaufen«, gab Elisabeth zu bedenken. »Ich wollte schon als Kind nicht wandern. Und Lea, bitte, würdest du vielleicht etwas langsamer gehen, ich kann nicht mehr.«
Lea drosselte ihr flottes Tempo und wartete auf Elisabeth. »Entschuldige, ich war in Gedanken. Da renne ich gerne einfach los, meine Kinder beschweren sich auch immer darüber.«
Sie kamen an einem weiteren grünen Eichenblatt vorbei; der Pfeil darunter zeigte geradeaus.
»Letzte Woche«, fing Elisabeth an zu erzählen, »hat sich eine Mutter über den Pfarrer unserer Gemeinde bei mir gemeldet. Vor drei Monaten ist ihr 19-jähriger Sohn zu einer neuen religiösen Gruppierung mit dem Namen ›Die Nachfolger Gabriels‹ entschwunden. Er hat sämtliche Sparbücher geplündert und bei dem letzten Besuch zu Hause Geld und Schmuck mitgehen lassen. Nach einem halben Jahr hat er seine jüngere Schwester angeworben.«
»Gute Güte, und was jetzt?«
Sie waren auf einer Lichtung angelangt. Lea blieb stehen und schaute auf die Tannen und in das feuchte Graugrün des Winterwaldes. Wie um sie aufzuheitern, riss die Wolkendecke auf, helle Lichtstrahlen flossen heraus. Lea betrachtete das beeindruckende Bild. Sie wandte sich zu ihrer Freundin um, die ebenfalls fasziniert die Sonnenstrahlen betrachtete. Elisabeth hatte einige tanzende Lichtpunkte auf ihrem kastanienfarbenen Lockenkopf. Sie antwortete verzögert auf Leas Frage, den Blick immer noch auf die fast überirdische Lichtflut gerichtet.
»Diese Frau, die Mutter dieser beiden Jugendlichen, war am Ende ihrer Kraft, seelisch und körperlich. Alles hat sie versucht. Briefe, Telefonanrufe, persönliche Besuche. Sie hat sogar die Polizei einschalten wollen, aber da auch das Mädchen schon über achtzehn ist und kein Verbrechen vorliegt, war auf diesem Weg kein Erfolg zu erwarten, das haben ihr die Beamten sofort erklärt. Weißt du, was sie zu mir gesagt hat? ›Ich habe das Gefühl, als hätte ein riesiges Stahltor meine Kinder verschluckt, den dumpfen Klang höre ich nachts im Traum.‹ Das waren genau ihre Worte.«
»Wie kann man damit zurechtkommen?«
»Sicher gar nicht, sie hat ihre Verzweiflung am Telefon so intensiv beschrieben, dass mir die Tränen gekommen sind. Sie hat gesagt: ›Ich höre jede Nacht im Traum das Dröhnen meiner Faustschläge an diesem Tor; ich möchte mir die Ohren zuhalten, aber meine Fäuste gehorchen mir nicht, sie müssen auf dieses Tor einschlagen. Immerzu, Tag und Nacht.‹«
»Wirklich furchtbar – da kann man nicht juristisch vorgehen?«, fragte Lea.
Sie setzten langsam ihren Weg fort in die Dunkelheit der Tannen.
»Keine Chance. Es liegt keine Freiheitsberaubung vor, und Nötigung ist bei freiwilligen oder vermeintlich freiwilligen Aktionen nicht zu beweisen. Also bleibt keine strafrechtlich relevante Handlung übrig.«
»Gab es Hinweise, dass die Geschwister irgendwie anfällig waren, labil, oder haben sie Drogen genommen?«
»Natürlich waren sie etwas wackelig, besonders der Junge. Aber letztlich nicht viel mehr als andere. Weißt du, Lea, die Mutter ist drauf und dran, verrückt zu werden, und man kann einfach nichts tun.«
Lea merkte, dass sie allmählich kalte Füße bekam, und stellte erleichtert fest, dass der Weg nun einen Kreis beschrieb und sie mit dem Ende des Rundwanderweges rechnen konnten. Die Dämmerung setzte ein, das Licht drang kaum mehr durchs dunkle Blätterdach. Beide Frauen hingen ihren eigenen Gedanken nach. Vor einer Weggabelung blieben sie stehen. »Und, wo geht es weiter?«, fragte Lea, »siehst du unser Eichenblatt?«
»Auf Anhieb nicht.«
Elisabeth lief ein Stück weiter und suchte einige Bäume nach der grünen Markierung ab.
»Blöd! So was, jetzt haben wir uns auch noch im Taunus verlaufen!«
Lea ging um einen Baum herum, in der Hoffnung, das grüne Eichblatt zu finden.
»Das dürfen wir keinem erzählen«,
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