Mercy-Thompson 03 - Spur der Nacht-retail-ok
durch den Laden zurück. »Passen Sie gut auf diesen Stab auf.«
»Ich versuche, ihn heil zurückzugeben«, sagte ich.
Er drehte sich um und machte ein paar Schritte rückwärts, den Blick noch immer auf den Stab gerichtet. »Ach ja?« Dann lachte er leise, schüttelte den Kopf und ging weiter zur Ladentür. »Diese alten Dinge haben manchmal ihren eigenen Kopf.«
Er öffnete die Tür für mich, und ich blieb zögernd auf der Schwelle stehen. Wenn er mir nicht gesagt hätte, dass er Feenvolk-Blut hatte, hätte ich mich bei ihm bedankt. Aber gegenüber einem vom Feenvolk eine Schuld zuzugeben, konnte unerwartete Folgen haben. Stattdessen nahm ich also eine der Karten, die Gabriel für mich ausgedruckt hatte, und reichte sie ihm. »Wenn Sie je Probleme mit Ihrem Auto haben, kommen Sie einfach vorbei. Ich arbeite überwiegend an deutschen Fabrikaten, aber normalerweise kann ich die anderen auch ganz gut zum Laufen bringen.«
Er lächelte. »Das tue ich vielleicht. Viel Glück.«
Samuel war weg, als ich zurückkam, aber er hatte einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass er zur Arbeit gegangen war und das Essen im Kühlschrank sei.
Ich machte den Kühlschrank auf und fand einen Glastopf, mit Folie abgedeckt, unter dem sich ein paar Enchilladas verbargen. Ich aß, fütterte Medea, wusch mir die Hände und nahm das Buch mit ins Wohnzimmer.
Ich hatte nicht erwartet, dass auf irgendeiner Seite stehen würde »Das ist die Person, die O’Donnell umgebracht hat«, aber es wäre schön gewesen, wenn nicht jede einzelne der sechshundert Seiten mit winzigen handgeschriebenen Worten in verblasster Tinte beschrieben gewesen wäre. Aber zumindest war das Buch in Englisch abgefasst.
Anderthalb Stunden später musste ich aufhören, weil sich meine Augen nicht mehr fokussieren wollten.
Ich hatte bei Kapitel fünf angefangen und vielleicht zehn Seiten des unmöglichen Textes gelesen, was drei Geschichten waren. Die erste Geschichte hatte über den Wanderstab berichtet, ein bisschen ausführlicher als das, was ich im Internet gelesen hatte. Es hatte auch eine genaue Beschreibung des Stabs gegeben. Der Autor gehörte offensichtlich zum Feenvolk, womit dies das erste Buch aus Sicht des Feenvolks war, das ich überhaupt je gelesen hatte.
In Kapitel fünf ging es anscheinend nur um weitere Dinge wie den Stab: Geschenke des Feenvolks. Wenn O’Donnell den Stab gestohlen hatte, dann vielleicht auch noch andere Gegenstände. Vielleicht hatte sein Mörder sie dann seinerseits mitgenommen.
Ich nahm das Buch mit zum Gewehrschrank in meinem Zimmer und schloss es dort ein. Das war nicht gerade das beste Versteck, aber zumindest würde ein Dieb, der nur zufällig vorbeikam, es von dort wahrscheinlich nicht mitnehmen.
Ich wusch das Geschirr und dachte weiter über das Buch nach. Nicht unbedingt über den Inhalt, aber darüber, was Tad mir hatte sagen wollen.
Der Mann im Buchladen hatte erklärt, dass das Feenvolk Dinge wie diesen Wanderstab als Schätze betrachtete, ganz gleich, wie nutzlos sie in der modernen Welt sein mochten.
Das konnte ich verstehen. Für das Feenvolk bedeutete es, Macht zu haben, wenn man einen Rest der Magie besaß, die sie verloren hatten. Und in der Welt des Feenvolks bedeutete Macht Sicherheit. Wenn die Grauen Lords eine Liste aller magischen Gegenstände hatten, dann würde diese Liste sicher auch den Aufenthaltsort der Gegenstände verzeichnen, und die Grauen Lords könnten sie an sich nehmen und verteilen, wie sie es wollten. Aber das Feenvolk hat viele Geheimnisse. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen eine Liste dieser machtvollen Dinge aufstellen und mir überreichen würde.
Ich war in Montana aufgewachsen, wo ein altes, nicht registriertes Gewehr viel mehr wert war als ein neues, dessen Besitzer sich feststellen ließ. Nicht, dass die Waffenbesitzer in Montana vorhätten, mit ihren nicht registrierten Gewehren Verbrechen zu begehen – aber es gefällt ihnen einfach nicht, wenn die Bundesregierung alles über sie weiß.
Was also, wenn … was, wenn O’Donnell mehrere magische Gegenstände gestohlen hatte und niemand wusste, um was es sich handelte, oder niemand sie alle kannte? Dann fand einer vom Feenvolk heraus, dass es O’Donnell gewesen war. Jemand, der eine Nase hatte wie ich – oder der ihn gesehen und vielleicht zurück zu seinem Haus verfolgt hatte. Und diese Person hatte O’Donnell vielleicht getötet, um die magischen Gegenstände selbst zu besitzen.
Vielleicht
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