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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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den Schnee.
    »Nein, du weißt es ja nicht wirklich. Aber das wirst du schon noch.«
    Ihr Atem wurde langsamer, doch sie schlug die Augen auf und sah mich an. »Warum hat der Mann mir gesagt, dass ich mich unter den Baum stellen soll?«, meinte Celia. »Das war gemein.«
    »Was für ein Mann, Celia? Wer war es?« Mein linkesBein begann zu pochen, und ich spürte, wie Druck sich in mir aufbaute. Als ich mich umschaute, fragte ich mich, ob sie vielleicht wirres Zeug redete. Ich hatte keine Anzeichen für die Gegenwart einer dritten Person gesehen. Dann hörte ich in der Ferne Hundegebell und das leise Surren von Schneemo bilen.
    »Hier drüben!«, brüllte Tens, woraufhin eine Menschenmenge auf uns zustürmte.
    Celia durfte nicht sterben. Nicht jetzt. Niemals. Und ganz sicher nicht, während ich sie im Arm hielt.
    »Bleib stark, Celia, gleich sind sie da.« Ich schüttelte sie so vorsichtig wie möglich, damit sie nicht einschlief. Ein neuer, unbekannter Schmerz schoss mir durchs Bein. Die Angst ließ meinen Atem schneller gehen. Mein Herz klopfte.
    Tens kam auf uns zugerannt, dass der Schnee in alle Richtungen spritzte. Ich drückte Celias kleine Gestalt an mich.
    »Es ist schön hier«, sagte sie und kuschelte sich seufzend an mich. »Danke, dass du mich gefunden und mein Bein wieder gesund gemacht hast. Es tut gar nicht mehr weh.«
    »Oh, das habe ich nicht …« Ich musste weg von ihr und Hilfe für sie holen. Es gab so viele Gründe, warum dieses wundervolle Kind nicht sterben durfte.
    Custos jaulte. Die Lichter näherten sich rasch. Tens’ Umrisse waren vor den Scheinwerfern der Schneemobile zu erkennen.
    Offenbar sah ich so schrecklich aus, wie ich mich fühlte, denn als Tens uns erreichte, riss er mir Celia aus den Armen und drehte sich zu den Schneemobilen um. »Verschwinde, los! Mach das Fenster auf!«, rief er und holtemich damit aus der schmerzhaften Erstarrung, in die ich immer mehr hineinzugleiten drohte.
    Mir sträubten sich die Nackenhaare. Ich hatte ein Druckgefühl in den Ohren, und in meiner Brust baute sich eine Anspannung auf, als würde mir sämtliche Luft entzogen. Die Magenschmerzen steigerten sich. »Nein, Celia, nicht!« Ich taumelte davon und versuchte dabei, das Fenster zu visualisieren. Doch etwas Unvernünftiges in mir sträubte sich dagegen, als könnte ich sie zwingen, am Leben zu bleiben, wenn ich es ihr erschwerte. Grauenhafte Schmerzen brachen in Wellen über mich herein, so dass ich nach Luft rang. Ich kam nicht schnell genug voran, um mich von ihr zu entfernen.
    Sie starb. Ich kannte dieses Gefühl.
    Das linke Bein gab unter mir nach, und ein Schmerz durchpulste mich, als ich in eine Schneewehe stürzte. »Nein, nein, nein.« Tränen liefen mir über die Wangen. Ich spürte, wie sie ihren Körper verließ.
    Als ich mich aufrappeln wollte, konnte ich mein Bein nicht belasten. Es war, als ragten die Knochen durch die Haut. Custos zupfte mich an der Jacke, und ich hinkte und kroch, mein Bein hinter mir herziehend, so weit weg, wie ich konnte. Aber eigentlich kümmerte es mich nicht mehr. Ich hatte nicht länger die Kraft zu kämpfen und lehnte mich an einen Baum, um trotz der brennenden Schmerzen Atem zu schöpfen. Mein Knöchel pochte, und jedes Luftholen war eine Qual, während ich die Szene vor meinen Augen beobachtete.
    »Celia? Celia? Wo ist mein Baby?« Eine ältere Frau stolperte in heller Angst durch den Schnee auf Tens zu, wobei sie in ihrer Verzweiflung immer wieder stürzte. Als sie ihmdas Kind aus den Armen riss, wandte ich mich ab und erbrach Blut. Ich würgte, bis nichts mehr kam. Der Druck ließ ein wenig nach, und die Schmerzen legten sich so weit, dass ich wieder den Kopf heben konnte.
    Aus der Ferne betrachtete ich die Menschengruppe, während ein hochgewachsener blonder Mann ein Gebet sprach und über Celia und ihrer Mutter das Kreuzzeichen schlug. Offenbar war er ein Prediger, strahlte aber etwas Einschüchterndes und Zwielichtiges aus. Obwohl sein Gesicht eigentlich im Scheinwerferlicht hätte zu sehen sein müssen, erkannte ich nur den nichtssagenden schwarzen Umriss einer menschlichen Gestalt. So angestrengt ich auch hinstarrte, ich konnte seine Züge nicht ausmachen.
    Celias Seele zwängte sich in mich hinein, glitt durch mich hindurch und verschwand, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Der Schmerz löste sich auf wie Nebel in der Sonne. Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Es war ein Gefühl, als wäre ich selbst aus einer grausamen Falle befreit

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