Meridian
worden.
Meine Zähne klapperten, und ich zitterte am ganzen Leib. Celia mochte Schokokekse mit weißer Füllung und My Little Ponies und half ihrer Mutter gern, Plätzchen mit Scho koladensplittern zu backen. Keine Ahnung, woher ich das wusste.
Während das Stimmengewirr um uns herum lauter wurde, kam Tens, um nach mir zu sehen. »Alles in Ordnung?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Mir tut das Bein weh.« Die Schmerzen zogen sich zwar zurück wie eine Gewitterfront, doch die Anstrengung hatte mich geschwächt und mitgenommen.
Ich hörte Celias Mutter schluchzen, und ihr Vater sagte:»Sie ist tot, Liebling, sie ist tot.« Dann zog er seine Frau an sich und hob Celia vom Boden auf.
Sanft strich Tens mir das Haar aus dem Gesicht. »Ich leihe mir ein Schneemobil aus, damit wir nach Hause fahren können. Warte hier, okay?«
Ich nickte, ohne die Augen zu öffnen.
»Warum hast du das Wort des Herrn missachtet und das getan, was böse ist in seinen Augen?«, hörte ich die sonore Stimme eines Fremden.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich in das Gesicht des attraktivsten älteren Mannes, der mir je untergekommen war. Es war der Inbegriff des blonden Mannes. Des Filmstars. Des Bosses von der Wall Street. Sicher würde die Zeitschrift
People
ihn zum erotischsten Mann des Jahres küren. Er verbreitete Selbstbewusstsein, Stil und Charisma. Sein Gesicht war so makellos und ebenmäßig, dass ich ihn nur gebannt anstarren konnte, bis er weitersprach. »Verflucht ist, wer für Bestechungsgeld unschuldiges Blut vergießt! Das ganze Volk soll sprechen: ›So sei es.‹« Dabei wandte er seinen lodernden Blick nicht von mir ab. Seine Augen wirkten wie zwei schwarze Löcher. Das Weiße fehlte, ich erkannte nur tiefe, dunkle Strudel. Vergeblich versuchte ich, trotz des Dämmerlichts genauer hinzuschauen.
»Gott sah, wie groß die menschliche Bosheit auf Erden war und dass jegliches Gebilde ihrer Herzensgedanken allzeit nur böse war. Du weißt, dass wir dich beobachten. Wir warten.«
Tens kam mit einem Schneemobil angefahren, bevor ich Gelegenheit hatte, mir aus diesem bizarren Monolog etwas zusammenzureimen.
»Tens, mein Sohn, ich habe mich gerade Miss Sozu vorgestellt. Ich bin Reverend Perimo. Es ist nett, Sie endlich kennenzulernen, junge Frau. Ihre Tante hat mir schon so viel von Ihnen erzählt.« Der Mann schien von einem Moment auf den anderen wie ausgewechselt. »Ich habe ihr angeboten, sie zu ihrer Tante zu fahren, aber ich glaube, sie ist wegen der Kälte nicht ganz bei sich.«
»Vielen Dank, doch ich habe mir schon einen Schlitten ausgeliehen.« Obwohl Tens’ Stimme ruhig und melodisch klang, merkte man jeder Faser seines Körpers die Anspannung an.
»Sind Sie sicher? Offenbar hat sie sich am Bein verletzt.« Der Reverend klang so freundlich und besorgt, dass ich fast befürchtete, ich könnte mir seine finsteren Drohungen nur eingebildet haben.
»Alles bestens, danke.« Tens half mir beim Aufstehen. Es gelang mir, mein Bein ein wenig zu belasten. Nachdem ich mich rittlings auf der Sitzbank des Schneemobils niedergelassen hatte, schlang ich die Arme um Tens’ Taille und schmiegte die Wange an seinen Rücken. Custos rannte neben uns her. Anscheinend war ich eingeschlafen, denn ich kann mich an die Heimfahrt nicht erinnern.
Meine Tante erwartete uns, tiefe Sorgenfalten im Gesicht, an der Tür.
Tens hob mich vom Sozius des Schneemobils. »Nicht, ich kann selbst gehen!«, rief ich, als ich bemerkte, dass er mich tragen wollte. Ich verhielt mich in seiner Gegenwart ständig wie ein Waschlappen, und daran musste sich unbedingt etwas ändern.
»Klar. Morgen.« Er ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. »Du bist so ein Hänfling, dass es mir nichts ausmacht.«Ich hätte schwören können, dass er mich hänseln wollte, doch da seine Miene ernst blieb, lachte ich nicht.
»Danke.« Als ich ihm den Arm um den Hals legte, versuchte ich, nicht darauf zu achten, wie seidig ihm das glatte Haar über den Hals fiel, wie angenehm er roch und wie geborgen ich mich in seinen Armen fühlte.
»Mein Gott, was ist geschehen?«, fragte Tante Merry, die uns nicht von der Seite wich. »Stell sie wieder ab, Tens. Sie ist kein Ritterfräulein, das gerettet werden muss.«
»Sie hat sich verletzt.« Er trug mich bis zum Sofa. »Also, Meridian, was ist passiert?«
Kapitel 12
»Es hat sich angefühlt, als hätte ich mir das Bein gebrochen. Total zerschmettert.« Ich ließ mich in die Kissen und Decken
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