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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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denn ich muss versuchen, sie von ihm wegzu locken. Hoffentlich findet er Dich. Der Stoff, aus dem mein Leben gemacht ist, löst sich allmählich auf. Tyee
    Offenbar war Tyee beim Schreiben gestört worden und hatte mitten in der Geschichte geendet. Seine Schrift war ein hingekritzeltes Geschmier, als sei er in großer Eile gewesen.
Was weiß Tens? Was verbindet uns miteinander?
    Ich stieß auf Briefe von meiner Mutter, die Ereignisse in meinem Leben schilderte und die Tante fragte, wie viel sie mir verraten sollte. Ich bezweifelte, dass Mom auf ihre Empfehlungen gehört hatte, denn schließlich hatte ich vor meiner Ankunft hier nichts von der Existenz von Fenestrae geahnt. Außerdem entdeckte ich Postkarten aus aller Herren Länder, alle unterschrieben von Menschen, die ich nicht kannte.
    In der untersten Schublade fand ich eine Schere, die sich ausgezeichnet zum Schneiden von Pappe eignete. Also war sie sicher auch für Haare zu gebrauchen. Ich nahm die Briefe von Tyee, die von meiner Mutter und die Schere an mich. Die Tür abzuschließen sparte ich mir, denn ich war sicher, dass niemand es bemerken würde.
    Zurück in meinem Zimmer, breitete ich alte Zeitungen auf dem Boden aus, schob die Spiegel so zurecht, dass ich mich auch von hinten sehen konnte, holte tief Luft und fing an zu schneiden.

Kapitel 16
     
     
    Sofort fühlte sich mein Kopf viel leichter an. Mit jedem Haarbüschel, das zu Boden fiel, konnte ich gerader stehen und kam mir älter vor. Die neue Frisur lockte sich um mein Kinn und ließ meine Augen größer wirken. Ich begradigte das Ganze, so gut ich konnte, und kam zu dem Schluss, dass ich zwar keine begabte Friseurin, das Ergebnis jedoch recht annehmbar war.
    Ich lächelte mein Spiegelbild an.
    »Ich bin hübsch.«
    Diese Erkenntnis brachte meine Augen zum Leuchten. Da ich ständig den Tod mit mir herumschleppte, hatte ich mir nie Gedanken über mein Aussehen gemacht. Doch die dunklen Ringe unter meinen Augen waren inzwischen helllila, nicht mehr dunkelviolett, und meine früher fahlen oder grünlich verfärbten Wangen hatten einen leicht rosigen Hauch bekommen. Selbst bei allerkritischster Betrachtung machte ich keinen so erschöpften Eindruck mehr.
    Da ich das Resultat Tens und der Tante präsentieren wollte, hastete ich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Plötzlich jedoch befürchtete ich, dass meine Verwandlung auf Ablehnung stoßen könnte, blieb stehen und beschloss,die Ahnungslose zu spielen, bis einer von ihnen mich darauf ansprechen würde.
    Ich folgte dem Duft nach Knoblauch und Zwiebeln in die Küche. Aus einem alten Kassettenrecorder erklang Glenn Miller. Tens hatte mir den Rücken zugekehrt und klopfte beim Umrühren mit dem Fuß den Takt mit.
    Zögernd hielt ich inne, denn ich fühlte mich wie ein Eindringling. Mein gerade erst neu entdecktes Selbstbewusstsein und meine Begeisterung lösten sich mit einem Schlag in Luft auf. Das hier war die Wirklichkeit, in der ich eine Außenseiterin war.
    »Kann ich helfen?«, fragte ich Tens’ Rücken.
    Er blickte nicht auf. »Es gibt Lasagne für Faule. Magst du italienisches Essen?«
    Ich nickte. »Ich probiere gern etwas Neues aus.«
    »Warum streichst du nicht die Butter aufs Brot?« Ohne mich anzusehen, schob Tens einen dicken, runden Brotlaib über den Küchentresen.
    »Wird gemacht.« Schicksalsergeben ließ ich mich auf einen Stuhl sinken. Offenbar würde er mich nicht so rasch zur Kenntnis nehmen.
    Schweigen senkte sich herab wie ein halber Meter Neuschnee. Ich beobachtete, wie die Muskeln unter Tens’ dünnem Wollpullover spielten. Er hatte breite, kerzengerade Schultern. Mir gefiel es, wie er sich mit einer Kopfbewegung die Haare aus den Augen schleuderte. Er musste dringend zum Friseur, denn die Haare fielen ihm ständig ins Gesicht. Ich erinnerte mich, wie ich ihm ins Haar gefasst hatte, als er mich die Treppe hinauftrug. Es hatte sich genauso schimmernd und seidig angefühlt, wie es aussah.
    Obwohl ich an den unausgesprochenen Worten fast zuersticken drohte, hatte ich keine Lust, den ersten Schritt zu machen.
    »Also?« Endlich war der ganze Laib Brot gebuttert und in Folie gewickelt. Ich stand auf und ging zu Tens hinüber, der gerade Ricotta, Basilikum und Mozzarella in einer Schale vermengte. »Was jetzt?« Ich rutschte näher an ihn heran. Er roch nach Holzrauch, Tannenharz und Seife.
    Er wich zurück, auch wenn ich nicht feststellen konnte, ob es sich um eine Abfuhr handelte. »Sauce, Nudeln und Käse müssen in

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