Meridian
Vieh herzufallen, weil es Gottes Wille ist. Eine Seuche wütet unter unseren Herden, damit wir das Haupt vor unserem Herrn beugen. Wer rechtschaffen ist, wird im Wohlstand leben. Gott verabscheut den Sünder. Er verachtet den Habgierigen und bestraft den Luxus, mit dem der Teufel uns verführen will. Schließt eure Reihen, meine Brüder und Schwestern. Verneigt euch vor dem Herrn, damit er die Sünder niederstreckt und die Reinen erlöst. Vertreibt die Feinde Gottes, reinigt euch und eure Kinder.
Unsere Kinder werden gesund zur Welt kommen, anstatt zu sterben, noch ehe sie den Mutterleib verlassen. In dieser
Stadt treibt das Böse sein Unwesen, und es ist unsere Pflicht als Soldaten Gottes, es zu bekämpfen, und zwar mit unserem Glauben, mit Worten und wenn nötig auch mit der Faust. Der Teufel ist sich für keine Hinterlist zu fein. Wir müssen die Menschen in unserer Umgebung mit neuen Augen sehen, die Bösen aussondern und die Reinen schützen. Wenn wir die Hände in den Schoß legen, die Befehle missachten und den Bund gefährden, der die Wiederauferstehung un serer Seelen sichert, dann haben wir die Strafen verdient, die Gott, der Herr, über uns verhängen wird. Wir müssen das Böse zwingen, uns zu verlassen, und den Feind Gottes aus unserer Gemeinschaft austreiben. Denn nur so werden wir das ewige Leben im Himmel beim Allmächtigen finden.
Wir werden eine Gebetsliste erstellen und diese wöchentlich veröffentlichen, um den Gläubigen dabei zu helfen, die verzweifelten Seelen in unserer Mitte zu retten. Außenseiter, die nicht unserem Glauben anhängen, sollen mit Nachdruck dazu ermutigt werden, in ihren Herzen nach der Wahrheit des Allmächtigen zu forschen. Lasst die betreffenden Nachbarn wissen, dass wir für sie und ihr ewiges Glück beten. Die, die sich abwenden, sollen unter dem Zorn erbeben, den nur der Herr gegen die Sünder richten kann. Wir leben aus einem ganz bestimmten Grund in Revelation – die Zeit ist gekommen, da die Welt den Ruhm Gottes sehen und sein Gericht erfahren wird.
»Das soll die heutige Zeitung sein?«, fragte ich verdattert. »Die Titelseite?«
»Ja«, entgegnete Tante Merry barsch.
Mit einem schwachen Lächeln zog ich die Augenbrauenhoch, um die Anspannung im Raum aufzulockern. »Das Zeug klingt wie aus einem Geschichtsbuch. Ein Wort wie ›niederstrecken‹ benutzt doch kein Mensch mehr.«
Im Blick meiner Tante loderten einhundertundsechs Jahre Lebenserfahrung. »Schau genauer hin, Meridian. Und jetzt lies den anderen Text.«
EURE SEELE WIRD ENTHÜLLT
PREDIGT ZUR HEILIGEN SCHRIFT
GESCHRIEBEN VON GOTT UNSEREM HERRN
EUCH WIEDER VOR AUGEN GEHALTEN
VON REVEREND PERIMO
»Beobachtet daher alle meine Gesetze und Gebote und erfüllet sie, damit euch das Land nicht ausspeie, in das ich euch führe, auf dass ihr darin wohnt.« Da drückt sich der Herr unmissverständlich aus. Die Unreinen werden ausgestoßen werden. Wer seine Gebote und Gesetze nicht befolgt, wird vernichtet. Der Teufel tut alles, um euch, eure Ehefrauen und eure Kinder in Versuchung zu führen. Deshalb müsst ihr stets wachsam sein und euch vor den Werken des Teufels hüten. »Ist in einem Mann oder Weib ein Toten- oder Wahrsagegeist, so sollen sie des Todes sterben.«
Brüder und Schwestern, ich habe Nachricht erhalten, dass das Dreikönigsfest kommt, an dem der Allmächtige über unsere Herzen zu Gericht sitzen wird. Ein großes Übel wird bald über die Unschuldigen hereinbrechen, und dann werdet ihr wissen, dass ich die Wahrheit spreche, wie der Allmächtige es befiehlt. Der Teufel hat Celia Smithson geholt. Wird er auch eure Kinder aus ihren Familien locken? Wir müssen fest zusammenstehen. Keiner wird vom Richterspruchdes Herrn ausgenommen, wenn wir vor dem Allmächtigen knien und er die Bilanz unserer Sünden zieht. Wird er bemerken, dass wir diese Stadt in seinem Namen gereinigt haben, oder wird er wieder sagen, wir hätten seinen Geboten und Gesetzen nicht gehorcht? »Eine Zauberin darfst du nicht am Leben lassen«, sagt der Herr. Werdet ihr euch wundern, wenn man euch in der Hölle willkommen heißt? Oder werdet ihr vom Allmächtigen im Paradies empfangen werden? Wir müssen an einem Strang ziehen, um den Reinen den Weg freizumachen. Der 6. Januar ist nah. Seid ihr bereit? Ich bin es. Schließt euch mir an. Amen.
Mein Lächeln erstarb. Offenbar war ich ein wenig schwer von Begriff. Es handelte sich doch nur um einen mit Bibelzitaten gespickten Leitartikel in einer Provinzzeitung, dessen Verfasser
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