Meridian
auf sie gehört. Gehen wir.« Tens schüttelte mich, um mich aus meiner Starre zu wecken.
Ich steckte die Arme in die Gurte des Rucksacks und schulterte ihn, während Tens mit den Händen unter einem Stapel Steppdecken herumtastete, der auf einer Kommode in der Ecke lag. »Was machst du da?«
»Hier muss es irgendwo einen Riegel geben.«
Ich fing an, die Steppdecken beiseitezuschieben und zu Boden zu werfen. Das Feuer dröhnte gierig, und die Leute vor dem Haus sangen aus voller Kehle Kirchenlieder. »AlleHexen sollen mit Feuer aus dem Gelobten Land vertrieben werden!«, brüllte jemand.
»Gefunden.« Vier leere Garnrollen standen in regelmäßigen Abständen oben auf den Regalen wie Zinnen. »Mist, wie lautet die Zahlenkombination? Sie hat es mir erklärt, schon vor Monaten. Wie zum Teufel ging sie noch mal?«
»Es gibt eine Zahlenkombination?«
Er drehte sich zu mir um. »Was hast du vorhin gesagt? Das ›Ich liebe dich‹. Wie war das genau?«
»Eins-vier-drei.«
»Genau.« Als Tens auf die erste Spule drückte, versank sie in dem Möbelstück. Dann drückte er auf die vierte und die dritte, bis wir endlich ein
Plopp
hörten. Ein muffiger Geruch drang in den Raum.
»Eine Treppe?«
Tens schaltete die Taschenlampe ein und nahm meine Hand. »Vertrau mir.«
Ich nickte. Unten zerbrach noch ein Fenster. Schritte polterten im Erdgeschoss.
Tens schloss die Tür hinter uns. Ein Klicken verriet uns, dass sie eingerastet war. Würden sie auf den Gedanken kommen, nach einem Geheimgang zu suchen?
Wir schlichen die Stufen hinunter, so leise das auf einer schmalen Wendeltreppe aus Eisen und Holz möglich war. Die Geräusche wurden lauter, und allmählich quoll Rauch durch die Ritzen des Gangs. Ich musste mich mit aller Macht beherrschen, um nicht zu husten, doch meine Augen tränten.
»Schaut im Schutzkeller nach«, schrie eine Stimme neben meiner Schulter. »Sie müssen hier irgendwo sein. Findet sie.«
Als ich Tens voller Panik ansah, legte er mir sanft den Finger auf die Lippen.
Vertrauen. Vertrauen. Vertrauen.
Das Wort schwang mit jedem Herzschlag mit.
Wir gingen langsamer und beteten, dass wir keinen Lärm verursachen würden. Vorbei am zweiten und ersten Stock und am Parterre, arbeiteten wir uns zum Keller vor. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden und wo wir wieder herauskommen würden, und packte Tens’ Hand. Er drehte sich zu mir um. »Wir sind fast da.«
Ich presste mich an seinen Rücken und ahmte seine Bewegungen nach. Wir pirschten uns einen langen Gang entlang.
»Hier wären wir. Jetzt dürfen wir wieder reden. Sie können uns nicht hören.«
Ich blickte mich um. »Wo sind wir?«
»Im alten Eiskeller. Direkt über uns fließt der Bach.«
»Der Bach? Aber das ist ja ein Football-Feld entfernt vom Haus.«
»Richtig.«
»Wie sind wir hierhergeraten?«
»Das erkläre ich dir später. Jetzt müssen wir weiter. Wir sind noch nicht in Sicherheit.«
Über uns platschte etwas im Wasser. Tens schaltete die Taschenlampe ab und gab sie mir. Dann bückte er sich und zog eine Pistole aus einem Knöchelhalfter.
Die Schritte näherten sich, begleitet von einem Hecheln. Schließlich ertönte das leise Knurren, mit dem Custos uns immer begrüßte. Als ich Licht machte und in die Knie ging, leckte sie mir übers Gesicht.
Ich drehte mich zu Tens um, der die Pistole wieder wegsteckte. »Ist das eine echte Pistole?«
»Ja.«
»Hättest du …« Ich verstummte, weil ich es nicht laut aussprechen konnte.
»Natürlich.« Er bedachte mich mit dem Blick des Kriegers für seine kleinen, schwachen Schutzbefohlenen. Dieser Ausdruck gefiel mir gar nicht, denn ich war weder hilflos, noch musste ich gerettet werden.
Als ich den Mund aufmachte, kam er mir zuvor. »Ich kann mit Schusswaffen umgehen. Schließlich jage ich schon seit Jahren. Eine Pistole ist wirkungsvoller als Pfeil und Bogen, insbesondere wenn man Hunger hat. Ob ich abdrücken würde, um dich zu beschützen? Selbstverständlich. Und ob ich zulassen würde, dass du abdrückst, um mich zu beschützen? Aber klar doch. Kannst du eigentlich schießen? Hattest du je eine Waffe in der Hand?«
»Nein.«
»Wenn es also eine Sache gibt, die ich kann und du nicht, hat das nichts mit Sexismus zu tun, sondern mit Klugheit.«
Ich nickte. Er hatte recht, auch wenn ich es nur ungern zugab. »Aber du bringst es mir doch bei, wenn wir das hier hinter uns haben?«
»Klar, du darfst das Abendessen sogar häuten und ausnehmen.« Er grinste.
»Danke.« Beim
Weitere Kostenlose Bücher