Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
Vom Netzwerk:
wärmer wird, können wir aufblasbare Sessel draußen aufstellen. Außerdem baue ich gerade eine Bank.« Auf dem Teppich, der sich unter meinen nackten Füßen warm anfühlte, lagen einige Kissen.
    Tens schob den Vorhang beiseite. »Küche und Esszimmer. Da wir im Sommer keine Kühlmöglichkeit haben, mir noch nichts dazu eingefallen ist und wir natürlich keine Bären anlocken wollen, sind sämtliche Lebensmittel, hauptsächlich Bergsteigernahrung und Konserven, in Metallkisten verstaut. Momentan jedoch besteht dieses Problem nicht, und in den Wänden gibt es einige Nischen, die sich ausgezeichnetals Kühlschränke eignen. Der Kochherd funktioniert mit Gaskartuschen oder mit Batterien, im Sommer sogar mit Solarzellen.«
    »Wie? Wann? Was?« Ich fühlte mich, als wäre ich wie Alice im Wunderland in ein Kaninchenloch gefallen. Das hier war ein Palast. Ich betrachtete die voll ausgestattete Küche mit dem zusammengewürfelten Geschirr und der Plastikwanne, die als Spülbecken diente.
    »Das meiste haben wir Charles zu verdanken. Ich habe sauber gemacht, ein paar Untermieter vor die Tür gesetzt und die Vorräte aufgefüllt. Deine Tante war schon seit Jahren nicht mehr hier, aber es war alles ziemlich gut erhalten. Das mit den Bären war übrigens ein Scherz. Diese Höhle verfügt über keinen Eingang, der groß genug für Meister Petz wäre. Außerdem habe ich in all den Jahren, die ich jetzt schon herkomme, nie Spuren gefunden.«
    »Das war also der Grund für dein geheimnisvolles Verschwinden, richtig?«
    »Hinter diesem Vorhang ist die Toilette. Charles hat die Tiefe auf mehr als einhundertfünfzig Meter geschätzt. Also benützen wir sie auch als Müllschlucker.«
    Ich spähte hinter den Vorhang. »Es gibt sogar eine Klobrille.«
    »Die war meine Idee.« Verlegen wandte Tens sich ab.
    »Nett.« Ich lächelte ihn an.
    »Das Schlafzimmer.« Er winkte mich weiter. »Wir haben Luftmatratzen, Isomatten und außerdem jede Menge …«
    »Steppdecken?«, fiel ich ihm ins Wort.
    »Genau. Dazu noch Schlafsäcke und batteriebetriebene Heizstrahler, damit uns auch bei einem erneuten Kälteeinbruch schön warm ist. Aber das Beste kommt erst noch.«
    »Es geht weiter?«
    »Natürlich. Wir verfügen über unsere private Thermalquelle zum Baden, einen heißen Luftstrom, eine Spende von Mutter Erde sozusagen, um unsere Sachen zu trocknen und …«
    »Ich traue meinen Augen nicht.« Ich drehte mich um die eigene Achse und blickte zur hohen Decke hinauf, die mich an eine Kathedrale erinnerte. Hoch oben entdeckte ich Wandmalereien. Die Luft war feuchtwarm und schwül.
    »Die Bilder sind von Charles.«
    »O Mann!« Ich erkannte Szenen aus Tante Merrys Geschichten, die ihre Kindheit und ihre Hochzeit darstellten. Das Bild war unvollendet.
    »Er ist gestorben, bevor es fertig war.« Tens wies auf die alten Farbdosen und Pinsel in der Ecke. »Ich habe es nicht über mich gebracht, sie wegzuräumen.«
    Ich nickte.
    »Hast du Hunger? Ich könnte was Essbares vertragen.«
    »Irgendjemand hat mir heißen Kakao versprochen.«
    »Möchtest du dazu eine Zuckerstange?« Tens griff nach einer Laterne, und wir nahmen den Weg zurück, den wir gekommen waren. »Ach, und dieser Tunnel führt zum Ausgang auf der anderen Seite. Leicht zu begehen. Draußen habe ich ein Motorrad geparkt, nur für den Fall, dass wir verschwinden müssen.«
    »Hast du denn gar nichts vergessen?«, fragte ich ungläubig.
    »Bedank dich bei deiner Tante. Sie hat mir genau gesagt, was wir brauchen.«
    Gut, er hatte allen Grund, sein Licht nicht unter denScheffel zu stellen. Schließlich war es von hier bis zum Haus ziemlich weit, und er hatte oft hin- und hergehen müssen.
    »Ich habe den Großteil deiner Klamotten mitgebracht. Dein Sponge-Bob-Pyjama hängt im Schlafzimmer, falls du ihn anziehen willst.«
    Sponge Bob. Mir war gar nicht aufgefallen, dass der Pyjama nicht mehr in meinem Zimmer lag. Also versteckte ich mich hinter dem Vorhang und schlüpfte aus meinem nassen BH und dem Höschen. Es war ein wundervolles Gefühl, den trockenen und fast warmen Flanell auf meiner allmählich auftauenden Haut zu spüren.
    »In der Ritz-Kräcker-Dose sind Wollsocken«, rief Tens.
    Tatsächlich enthielt die Dose ein Sortiment bunter Socken. Ich nahm ein Paar und zog es an.
    »Soll ich dir helfen?«, fragte ich, als ich zu Tens zurückkehrte. Mit einem schokoladenbraunen kuscheligen Pulli über dem Pyjama und einer Steppdecke um die Schultern kam ich mir fast wieder wie ein Mensch vor.

Weitere Kostenlose Bücher