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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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Er drehte sich zu mir um. »Richtig?«
    »Richtig.«
    »Wir sind fast da. Hältst du noch ein bisschen durch?«
    »Trägst du mich sonst?«, gab ich mit einem leichten Lächeln zurück.
    Offenbar hatte er nicht bemerkt, dass ich ihn auf den Arm nehmen wollte. »Ich habe mir im Zug etwas gezerrt, und jetzt tut mir der Rücken weh. Also glaube ich nicht, dass ich …«
    »Dann gib mir meine Tasche.« Ich war ja schließlich nicht aus Zucker. Zugegeben, bei meiner Ankunft war ichziemlich schwächlich gewesen, aber ich fühlte mich mit jedem Tag besser. Stärker. Gesünder.
    »Bist du sicher?«, fragte Tens und leuchtete mit der Taschenlampe mein Gesicht ab, bevor er mir die Tasche reichte.
    »Du siehst selbst recht erledigt aus«, meinte ich, als ich ihn im Dämmerschein der Taschenlampe musterte.
    »Es ist nichts«, wehrte er ab. »Wenn wir da sind, habe ich heißen Kakao und trockene Sachen für uns.«
    »Das klingt ja vielversprechend. Also weiter.« Ich lächelte.
    Wir setzten unseren Marsch fort. Hin und wieder schaltete Tens die Taschenlampe aus und spitzte die Ohren. Obwohl er sonst nie Schwäche zeigte, stolperte er einige Male. Allerdings waren wir beide erschöpft.
    Endlich erreichten wir eine steile Schlucht, wo Douglastannen und Farne wuchsen. Der Schnee, der die Felswände hinuntergerutscht war, bildete einen im frühen Morgenlicht kühl und blau schimmernden Tunnel.
    Custos erwartete uns winselnd.
    »Ich habe einen Weg freigeräumt. Der Schnee schmilzt zwar, ist jedoch noch ziemlich fest. Der Weg ist nicht weit, und auf der anderen Seite befindet sich eine Höhle.«
    »Wann hast du das gemacht? Deshalb also die vielen Ausflüge und Erledigungen.«
    Tens drückte meine Hand. »Warte, bis du es gesehen hast. Es ist ein Vier-Sterne-Hilton, wie du es dir nie träumen lassen würdest.«
    »Wirklich?« Ich lachte auf. Wie tief war ich gesunken, wenn ich mich mit einer Höhle als Luxushotel zufriedengab!
    »Wirklich.« Er duckte sich und folgte Custos.
    Am Ende des Tunnels hob Tens einen Ast an und drückte dann gegen eine Tür, die aus Felsgestein zu bestehen schien, aber eindeutig aus leichtem Material war. Dann machte er Platz. »Ladys first.« Er reichte mir die Taschenlampe. Ich zog den Kopf ein und leuchtete in die Dunkelheit.
    Custos drängte sich an mir vorbei und stieß zur Begrüßung ein Kläffen aus, das ich noch nie von ihr gehört hatte.
    Bei dem Anblick, der sich mir bot, schnappte ich nach Luft.

Kapitel 32
     
     
    »Ach, du heiliger Strohsack!« Ich ließ die Tasche fallen und schlüpfte aus dem klatschnassen Mantel. Der Raum war erstaunlich warm.
    Als Tens einen Schalter betätigte, gingen einige Deckenlampen an. Ich wies darauf.
    »Batteriebetrieben.« Tens zuckte mit den Achseln. »Sie sind noch von Charles.«
    Die Felswände wurden von urzeitlichen Malereien geschmückt, wie ich sie nur aus Büchern kannte. Sie stellten riesenhafte Menschen mit Speeren und Tiere dar.
    Ein alter Perserteppich mit einem eleganten burgunderroten und blauen Muster schmückte den Boden. Aus Ästen gefertigte Regale beherbergten Bücher, Nippes und Stapel von Tantes Steppdecken. An einer Stange, die aus einem Zweig bestand, hing ein Vorhang, der denen in der Bibliothek glich wie ein Ei dem anderen. »Das ist ja Wahnsinn! Wo sind wir hier?«
    Ich stellte fest, dass ich ein altes Stück Linoleum mit Wasser volltropfte.
    »Bitte zieh die Stiefel im Vorraum aus.« Tens lächelte, offenbar erfreut über meine Begeisterung.
    Ich bückte mich und zerrte an den durchweichtenSchnürsenkeln, bis sie nachgaben und ich aus den Stiefeln schlüpfen konnte.
    »Euer Versteck, meine Gnädige.« Tens entledigte sich ebenfalls seines Mantels und der Handschuhe. »Beheizt von geothermischer Energie und ganz selten einmal mit einem batteriebetriebenen Heizstrahler. Doch das ist nur nötig, wenn es weit unter zwanzig Grad minus kalt wird. Die Handtücher hängen links von dir. Zieh die Sachen aus, Meri. Wir können es uns nicht leisten, krank zu werden.« Tens klang müde.
    Ich erschauderte, während ich meine kalten, nassen Kleider gegen warme Badelaken aus Baumwolle tauschte.
    Währenddessen sprach Tens weiter über die Höhle. »Es ist eine alte Siedlung der Anasazi. Charles ist vor etwa fünfzig Jahren bei einem Streifzug darauf gestoßen und hat die Höhle ausgebaut. Er bezeichnete sie als ihr Ferienhaus. Komm, ich führe dich herum.«
    Ich nickte, plötzlich beklommen.
    »Du befindest dich hier im Wohnbereich. Wenn das Wetter

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