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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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von Bäumen, die in gepflegten Parks wuchsen und die Wirrnisse des Lebens nicht verstanden. Diese Wurzeln waren gezwungen gewesen, im Kreis, aufwärts und abwärts zu wachsen, um zu überleben. Es warenBäume, die mich an Tante Merry erinnerten. Obwohl sie bis zu den Knien im Schlamm gewatet war, hatte sie nie die Hoffnung oder die Unschuld verloren.
    Die Zeit verdichtete sich zu einzelnen Atemzügen. Ihre Brust hob und senkte sich. Ihre Augenlider flatterten. Die Sonne stand hoch am Himmel und versank dann wieder am Horizont. Ich wartete, bereit, mir das Fenster vorzustellen, Charles auf der anderen Seite zu sehen, sie gehen zu lassen und darauf zu achten, dass ich mich nicht verhedderte. Dabei drängte ich meine Zweifel zurück.
Kann ich loslassen? Werde ich auf dieser Seite bleiben?
    Ich erinnerte mich an die Zeit vor meinem Geburtstag und wusste nicht, ob ich jetzt, am Anfang meines Lebens, so viel Glauben an die Menschheit hatte wie die Tante bei ihrem Tod.
Habe ich auch richtig aufgepasst? Habe ich mir die Geschichten gut genug gemerkt, um sie so eindringlich und wortgetreu erzählen zu können wie sie?
Ein Teil von mir hatte immer gewusst, dass sie da war, hinter mir stand, mich stützte und die schrecklichen Stürme von mir fernhielt.
    Und nun?
    Nun muss ich die Kraft in mir selbst finden.
War ich stark genug? Wollte ich es überhaupt sein?
    Tens reichte mir einen Teller mit einem belegten Brot und einem in Viertel geschnittenen Apfel. »Meridian, du musst etwas essen. Außerdem hast du seit dem Zugunglück nicht geduscht.«
    Ich wandte den Blick nicht vom Mund der Tante ab. Einatmen. Schließen. Ausatmen. Ein Atemzug. Ein Herzschlag. Ich wartete auf den nächsten. »Ich traue mich nicht aus dem Zimmer. Was, wenn ich nicht da bin? Ich muss da sein.«
    »Es wird geschehen, was geschehen soll.«
    Ich blinzelte. »Klingt sehr nach Zen.«
    Tens polterte näher heran, beugte sich zu mir hinunter und sah mir ins Gesicht. »Wenn du dich verausgabst, hilfst du niemandem damit. Du musst stark sein, damit du nicht …« Er hielt inne und umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, so dass ich ihn anschauen musste. Mir blieb nichts anderes übrig, als in seine so erstaunlich unergründlichen Augen zu starren und darin das Spiegelbild eines Mädchens wahrzunehmen, das ich nicht mehr kannte. »Die Welt braucht dich.« Als er die Stirn an meine lehnte, tropften mir seine Tränen auf die Wangen. »Ich brauche dich, Meridian.«
    Seufzend lehnte ich mich an ihn.
    »Ich liebe dich. Wusstest du das nicht?« Bei diesem Geständnis schloss er die Augen.
    Ich ließ die Hand meiner Tante los, schlang die Arme um ihn, schmiegte das Gesicht an sein Schlüsselbein und schnupperte seinen typischen Geruch nach Seife, Wald und Wolf. Dann wich ich zurück und musterte ihn forschend, schloss die Augen und atmete tief durch, um die Tränen zurückzudrängen.
    Charles’ Geheimcode für »Ich liebe dich« fiel mir ein. Ich lächelte. »Auch eins-vier-drei.« Als ich hörte, wie ich diese Worte aussprach, wusste ich, dass ich aufmerksam genug gewesen war. Ich hatte mir vielleicht nicht jede Einzelheit gemerkt, kannte mich aber gut genug aus, um weiterzumachen. Außerdem hatte ich so viel über Tante Merry erfahren, dass ich ihre Steppdecke selbst nähen konnte.
    Tens zog die Augenbrauen hoch. »Eine mathematische Gleichung. Wie romantisch.«
    Lachend trat ich einen Schritt zurück. »Ich liebe dich auch.« Es war, als verharre das Leben einen Moment im Gleichgewicht und setze sich dann stotternd wieder in Bewegung. Wie bei einer Großvateruhr, die für einen Herzschlag langsamer wird und dann ungerührt weitertickt. Dennoch erwartete ein Teil von mir, dass Tante Merry die Augen öffnen und uns zu unserer jungen Liebe beglückwünschen würde.
    »Kleines?«
    Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Ich war in meinem Zimmer und stand neben der Tante. Durch das Fenster sah ich in der Ferne eine Menschenmenge, die voller Freude, hüpfend oder im Laufschritt, auf uns zukam. Der Himmel war so leuchtend blau wie die Augen der Tante, und die Strahlen der Sonne, die durchs Fenster hereinfielen, wärmten uns. Scharlachrote Blütenblätter regneten vom Himmel wie Konfetti. Charles führte die Gruppe mit ausgestreckten Armen an.
    »Er hat auf dich gewartet.«
    »Ich habe dich verstanden. Danke, Kleines. Das da ist deine Familie. Viele Generationen von uns mit Ausnahme der wenigen Fenestrae, die wiedergeboren wurden. Eines Tages werden wir uns

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