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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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eher praktisch veranlagter Mensch und nicht abergläubisch war, ihre Schwiegermutter habe bei diesem Wiedersehen ihre Hände im Spiel gehabt. Endlich erzählte sie Irene auch, ihrem Vater ginge es gut, soweit man unter diesen Umständen von gut sprechen konnte.
    Kurt besuchte ihn regelmäßig. Agnes rief Kurt im Büro an, und er kam sofort nach Hause, um Irene zu sehen, ehe Friedel sie wieder abholte. Kurt versprach ihr auch, beim nächsten Besuch im Gefängnis liebe Grüße von ihr auszurichten. Mitnehmen könne er sie leider nicht, sagte Kurt, Kinder und Jugendliche dürften da nicht rein, Mädchen schon gar nicht, es sei ja eine Haftanstalt für Männer.
    Irene begann, Briefe zu schreiben, jede Woche einen:
    «Lieber Papa!» Sie berichtete ihm, wie es ihr ergangen war in den vier Jahren und was nun in ihrem Leben vorging. Es war nichts Weltbewegendes, aber sie glaubte, es sei wichtig für ihn, zu wissen, dass da jemand war, der ihn liebte und brauchte, ihn vermisste und die Tage zählte, die vom Lebenslänglich noch übrig waren. Kurt Seifert sagte, das Wort klinge zwar schlimm, aber es bedeute nicht, dass ein Mensch bis an sein Lebensende im Gefängnis bleiben müsse.
    Die Briefe sammelte sie, versteckte sie im Bettkasten, damit ihre Mutter keinen zu Gesicht bekam und wütend wurde. Einmal im Monat fuhr Friedel sie heimlich für einen Nachmittag zu Agnes. Dort gab sie ihre Briefe ab, Agnes machte jedes Mal ein Foto mit einer Sofortbildkamera von ihr, das sie mit in einen der Umschläge steckte. Angeblich schmuggelte Kurt die Briefe ins Gefängnis. Er brachte auch immer einen mit zurück, der mit «Liebe Irene» begann und mit «Dein Vater» endete. Den las sie dann, bis ihr das dünne, graue Papier fast in den Fingern zerbröselte.
    Weil Kurt an den Nachmittagen meist nicht zu Hause war, er musste ja arbeiten, erzählte Agnes, wie sehr ihr Vater sich über die Briefe gefreut habe, dass er jede ihrer Zeilen mindestens dreimal las, ihre Fotos an die Wand über seinem Bett klebte und es kaum abwarten könne, die nächste Sendung in Empfang zu nehmen. Irene hätte auch gerne ein neues Foto von ihm gehabt. Aber Agnes sagte, im Gefängnis sei fotografieren nicht erlaubt. Kurt könne das auch nicht heimlich tun, weil immer ein Wärter dabei sei, wenn er einen Besuch machte.
    Irene glaubte das, bis sie eines Nachmittags aus Versehen in Agnes’ Küche die falsche Schranktür öffnete, um ein Glas herauszunehmen, und einen Block mit dem dünnen grauen Papier fand. Das oberste Blatt war schon zur Hälfte beschrieben. «Liebe Irene.»
    An dem Tag war sie sechzehn, trug seit acht Jahren dieses Nagen und Bohren im Innern mit sich herum, Sehnsucht nach seinem Arm, seiner Stärke. Es tat so entsetzlich weh, war fast schlimmer als der Tag, an dem sie aus der Schule gekommen war und seine Kollegen sie in Empfang genommen hatten. Viel schlimmer als die vier Jahre, in denen sie ihn im Himmel gewähnt hatte und ihm eine Pyramide auf Erden bauen lassen wollte.
    Agnes versuchte, noch etwas zu retten, erklärte hastig, es sei nicht so, wie sie denke. Die Briefe kämen schon alle von ihm, er habe sie nur nicht selbst geschrieben. Im Gefängnis hätte er tagsüber nicht die Zeit zu schreiben, und abends würde früh das Licht ausgemacht. Da könne er nur noch fast unleserliche Notizen machen, die Agnes dann für ihn ins Reine schriebe. Aber das glaubte Irene nicht mehr.
    Es war ein Weltuntergang. Nächtelang weinte sie das Kissen nass, hätte ihn am liebsten aus ihren Gedanken gestrichen, wie ihre Mutter es getan hatte. Doch das schaffte sie nicht, weil sie ihn immer noch liebte und allmählich lernte, ihn zu verstehen.
    Agnes erklärte so einfühlsam, wie es dazu gekommen war, zuallererst einmal, dass ihr diese von Friedel arrangierten heimlichen Besuche selbst ungeheuer wichtig waren. Sie hatte keine Kinder, litt sehr darunter und versuchte, es durch ihren Beruf zu kompensieren, Kinderkrankenschwester war sie. Aber die Kleinen in der Klinik durfte man nicht zu lieb gewinnen, weil man sie immer nur für kurze Zeit hatte und ihnen auch noch wünschen musste, sie nie wieder zu sehen.
    Und Agnes meinte, es sei sehr schön gewesen für sie in den letzten vier Jahren, etwas zu haben, worauf sie sich freuen konnte, dass alle vier Wochen ein junges Mädchen kam, das man so lieb hatte wie ein eigenes Kind, dem man für die Zukunft nur das Allerbeste wünschte. Da wünschte man sich eben auch, man dürfe ein wenig zum Glück für die Zukunft

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