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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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oben zu steigen. Die wirkliche Arbeit wurde unten erledigt, bestand aus unzähligen Kleinigkeiten.
    Es hatte ihm nie etwas ausgemacht, abends mit Zeugen zu sprechen, die man nur spät erwischte, oder noch etliche Stunden am Schreibtisch zu sitzen, noch einmal sämtliche Fotos vom Tat- oder Fundort anzuschauen, Berichte zu lesen, Berichte zu schreiben. Viele Kollegen empfanden das als lästig. Er nicht, es gehörte eben dazu. Genauso wie seine Frau zu ihm gehörte. Er wusste immer, dass Heike daheim auf ihn wartete. Sie beschwerte sich nie, jammerte nie, er vernachlässigte sie. Es schien, dass sie die ideale Frau für einen Polizisten war. Wenn nachts um zwei ein Anruf kam oder er aus einer Geburtstagsfeier gerufen wurde, lächelte sie ihm hinterher. Ein langes Gesicht gab es nie.
    Zehn Jahre lang ließ sie ihn im festen Glauben, es sei alles in bester Ordnung, dass sie stolz auf ihn war, ihn verstand und bewunderte für seine Hartnäckigkeit. Wenn er sehr spät heimkam, lag sie meist schon im Bett. Aber sie stand immer noch einmal für ihn auf. Ging mit ihm in die Küche, machte ihm etwas zu essen oder saß nur dabei, wenn er noch ein Bier trank. Sie erkundigte sich, wie sein Tag gewesen war, erzählte ein bisschen, wie sie sich die Zeit vertrieben und was Irene tagsüber gemacht hatte. Und wenn sie dann zusammen ins Bett gingen, kroch sie dicht an ihn heran, ließ sich in die Arme nehmen und blieb da die ganze Nacht.
    Merkel war die ganzen Jahre der festen Überzeugung, dass sie eine sehr glückliche Ehe führten, die durch nichts und niemanden zu erschüttern sei. Und dann kam eines Tages einer von diesen wohlmeinenden Freunden, der im gleichen Haus lebte, und eröffnete ihm, dass seine Frau vermutlich einen anderen habe. Vermutlich! Einen Beweis dafür gab es nicht, nur: «An deiner Stelle würde ich ein bisschen aufpassen, Hein. Ich habe den Kerl jetzt schon zweimal aus deiner Wohnung kommen sehen.»
    Den Kerl! Es konnte ein Vertreter gewesen sein, der ihr etwas hatte verkaufen wollen, einen neuen Staubsauger oder eine Versicherung. Den Heike um ein bisschen Bedenkzeit gebeten hatte, sodass er zweimal kommen musste. Nur hatte sie ihm nichts davon erzählt, das war der Stachel im Fleisch. Trotzdem, Merkel wollte das nicht glauben. Heike liebte ihn, sagte ihm das bei allen möglichen Gelegenheiten. Manchmal rief sie tagsüber an, nur um ihm das zu sagen.
    Zuerst versuchte er, das merkwürdige Gefühl, das ihn beschlich, wenn er morgens die Wohnung verließ, zu ignorieren und den Drang, nach Hinweisen zu suchen, wenn er abends heimkam. Tagsüber wusste er nie, was er denken sollte. Er ging es mit Vernunft an. Heike konnte ihn doch gar nicht betrügen. Abends auf keinen Fall, weil sie nie genau wusste, wann er nach Hause kam. Und tagsüber? Sie war eine gute Mutter. Irene war am Nachmittag meist bei ihr. Da konnte sie es sich doch nicht leisten, einen fremden Kerl in der Wohnung zu empfangen. Aber morgens war Irene in der Schule! Drittes Schuljahr inzwischen, da ging der Unterricht bis zwölf oder halb eins.
    Und dann saß er eines Morgens an seinem Schreibtisch und dachte, wenn überhaupt, hat sie jetzt Gelegenheit. Er fuhr auf der Stelle heim, schlich wie ein Dieb in die eigene Wohnung und hörte schon im Flur diese eindeutigen Geräusche. Sie war tatsächlich nicht allein. Und sie saß auch nicht mit einem Vertreter in der Küche oder im Wohnzimmer. Die Szene auf dem Bett war wie eine Faust. Und die schlug ihm nicht einfach nur in den Magen, sie riss ihm das Herz aus dem Leib und warf es irgendwo auf einen Müllhaufen, wo es unter Bergen von Unrat verschwand.
    Er hatte gleich geschossen, noch von der Tür aus, mit der Dienstwaffe. Nicht auf sie! Ihr hätte er niemals auch nur ein Haar krümmen können. Aber diesen Kerl, der in seinem Bett, auf seiner Frau lag und ihm im Bruchteil einer Sekunde alle Illusionen raubte und den Glauben, vor allem den Glauben. Den konnte er nicht leben lassen. Er drückte ab, bis das Magazin leer war, ganz gezielt auf die Stellen, die er treffen wollte. Er war immer ein guter Schütze gewesen.
    Danach fuhr er zurück in sein Büro und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Er fror entsetzlich, doch abgesehen von der Kälte, die seine Muskeln verkrampfte und seine Zähne aufeinander schlagen ließ, war es fast so, als sei nichts geschehen.
    Eine halbe Stunde später kam Kurt herein. Kurt Seifert war vier Jahre jünger als er, sein kleiner Bruder sozusagen, obwohl sie nicht

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