Merkels Tochter. Sonderausgabe.
geklopft. «Ja», sagte er, «das können Sie. Ich suche seit Wochen nach einem Geschenk für meinen Schwiegersohn. Und da sah ich nun zufällig den Dolch in Ihrem Fenster. Jetzt sagen Sie mir nicht, der sei unverkäuflich. Der wäre genau das Richtige.»
Unverkäuflich war der Dolch nicht. Dass er nicht ausgezeichnet war, sei ein Versehen, sagte der Verkäufer. Der Preis, den er Merkel mit überheblichem Lächeln nannte, verschlug ihm doch für einen Augenblick die Sprache. Satte fünftausend Mark. Die Uhr hätte nur dreitausend gekostet. Der Dolch war so teuer, weil er aus einer Speziallegierung bestand, die ihm trotz des hohen Goldgehalts eine extreme Härte gab, und weil drei Steine in seinem Griff eingelassen waren. Lapislazuli, den Ausdruck hatte Merkel noch nie gehört, aber dass es echte Lapislazuli waren, musste der Verkäufer nicht eigens betonen. Das verstand sich wohl von selbst bei dem Preis.
Merkel hatte das Geld, daran sollte es nicht scheitern. Er hatte sogar etwas mehr als fünftausend Mark auf der hohen Kante. Seit er arbeitete, hatte er jeden Monat einen festen Betrag auf die Seite gelegt. Für die goldene Uhr – und für seine Beerdigung, damit nicht eines Tages das Sozialamt den billigsten Sarg aussuchte oder an Verwandte herantrat, damit die die Kosten übernahmen.
Komisch, plötzlich konnte er darüber lächeln. Vor zwanzig Jahren hatte er sich in einer Zelle begraben lassen. Genauso hatte Irene es doch ausgedrückt. Und als sie ihn da wieder rausließen, hatte er sogleich mit dem Sparen auf einen Sarg angefangen. Irene hätte wahrscheinlich auch darüber gelächelt. Und dann gesagt: «Papa, ich bitte dich, überlass es den wirklich alten Männern und Frauen, auf ihr Begräbnis zu sparen. Dafür bist du noch nicht alt genug.»
«Passen Sie auf», sagte Merkel und blinzelte dem Verkäufer kumpelhaft zu, «Sie nehmen jetzt den Dolch aus dem Fenster und legen ihn schön an die Seite. Ich fahre rasch zur Bank und hole das Geld. Ich bin in spätestens einer halben Stunde wieder hier. Und wehe, ich kriege dann nicht, was ich haben will.»
Mit einem Grinsen fügte er hinzu: «Mein Schwiegersohn wird Augen machen.»
Aber nach Möglichkeit sollte zuerst Ohloff Augen machen, sie weit aufreißen vor Panik. Und winseln, um sein Leben betteln, vor Schmerzen schreien. Es ging nicht anders, das Schreien war unerlässlich. Vielleicht taute es ihn wieder auf, vielleicht wärmte es auch nur dieses erfrorene Stück Fleisch in seinem Innern, das vor Urzeiten ein fühlendes Herz gewesen war.
Ein Dolch für fünftausend Mark! Ein Küchenmesser aus dem Kaufhaus hätte dieselbe Arbeit geleistet, aber es wäre nicht das Gleiche gewesen. Ein Dolch für fünftausend Mark, wo sie doch die Uhr nicht mehr bekommen hatte. Und zu Weihnachten nur diese billige Kaffeemaschine mit dem Sprung in der Kanne. Er hatte wirklich nie viel für sie übrig gehabt, als sie noch lebte. Vielleicht hätte sie die Finger von Ohloff gelassen, wenn er auf sie zugegangen wäre. Im Grunde war es doch seine Schuld, zum Teil jedenfalls. Und deshalb war es nur recht und billig, jetzt ein kleines Vermögen für sie auszugeben.
Er war fast ein wenig euphorisch, als er zu seinem Rad ging. Zur Bank fahren konnte er nicht sofort, musste erst das Sparbuch aus seinem Zimmer holen. Alles in allem dauerte es etwas länger als eine halbe Stunde, ehe er das Juweliergeschäft erneut betrat.
Der Verkäufer fragte, ob er den Dolch als Geschenk einpacken sollte.
«Das wäre nett», sagte Merkel, obwohl es nicht den geringsten Sinn machte. «In solchen Dingen bin ich ein bisschen ungeschickt.» Und während der Verkäufer bereits einen Bogen Goldfolie zurechtlegte, fragte er: «Kann man ihn auch schleifen, ohne ihn zu zerkratzen?»
«Selbstverständlich», versicherte der Verkäufer. «Die Klinge ist widerstandsfähiger als Stahl. Aber es wird nicht nötig sein, ihn zu schleifen, er ist scharf wie eine Rasierklinge.» Er demonstrierte es an einem Stückchen Goldfolie, hielt es in die Höhe, zog die Klinge nur ganz leicht darüber und hatte damit bereits die Folie in zwei Hälften geteilt.
«Wunderbar», sagte Merkel, während der Verkäufer den Dolch in die Scheide steckte. Die kostete nochmal dreihundert Mark extra. Zum Glück hatte er sein Sparbuch bis auf ein paar Mark abgeräumt. Einen schwarzen Anzug musste er sich ja auch noch kaufen für die Beerdigung.
Dann stand er wieder neben seinem Rad, immer noch euphorisch. Einen Strick brauchte er noch. Handschellen
Weitere Kostenlose Bücher