Merkels Tochter. Sonderausgabe.
das, was ihm vorschwebte.
Es musste etwas ganz Besonderes sein, etwas Einmaliges, so einmalig wie sie. Ein ganz erlesenes und seltenes Stück. Er hatte von diesem Messer eine erstaunlich konkrete Vorstellung, als hätte er es schon einmal irgendwo gesehen und zwar in Verbindung mit ihr. Aber das war vermutlich Einbildung. Jedenfalls musste es eine schmale, dennoch sehr stabile Klinge haben, die Knorpel durchtrennte und die er in der Hosentasche bei sich tragen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich selbst damit ins Bein zu stechen. So was gab es in einem Kaufhaus nicht, bestimmt nicht in der Haushaltswarenabteilung.
Um fünf fuhr er zurück, machte sich eine große Kanne Kaffee, trank zwei Tassen und aß zwei Wurstbrote dazu, bestrich zwei weitere Brote für die Arbeit und füllte den restlichen Kaffee in die Thermoskanne. Kurz nach sechs verließ er das Zimmer wieder, um den Hund abzuholen.
Dann drehte er mit Leo seine Runden. Die kleine goldene Uhr lag immer noch im Schaufenster des Juweliers. Aber er konnte sie sich nun anschauen. Mit dieser Kälte im Innern war das überhaupt kein Problem mehr. Damit konnte er alles, die Uhr nicht nur betrachten, sich sogar bis ins kleinste Detail ausmalen, wie es gewesen wäre an ihrem Geburtstag, wenn er das kleine, aufwendig verpackte Geschenk neben ihren Frühstücksteller gelegt hätte. Die erste Freude in ihrem herben Gesicht.
Und nach dem Auswickeln die atemlose Überraschung und das Glück, wenn sie begriff, wie viel sie ihm wert war: «Papa, bist du verrückt! Die muss ja ein Vermögen gekostet haben.»
Und dann mit einem Scherz versuchen, das große Gefühl etwas kleiner erscheinen zu lassen, damit er sich nicht bedrängt fühlte: «Du hast doch hoffentlich nicht den Juwelier ausgeraubt.»
Und dann wäre sie ihm um den Hals gefallen, auch das konnte er sich gut vorstellen. Sie war der Typ gewesen, der einem vor Freude um den Hals fiel. So spontan und herzlich. Und er hatte sie sich in den beiden Jahren vom Leib gehalten. Wer sie und ihn um ihren Geburtstag betrogen hatte, verdiente es nicht, selbst noch einen Geburtstag zu erleben. Wer einen Menschen wie sie ausgelöscht hatte, gehörte ebenfalls ausgelöscht.
Er wusste, dass er es konnte, ohne mit der Wimper zu zucken. Schließlich hatte er es bereits einmal getan, obwohl das damals eine andere Geschichte gewesen war. Abdrücken aus zwei Metern Entfernung. Der Kerl auf seiner Frau hatte davon kaum mehr gespürt als einen Schlag in den Rücken, der ihn hinüber ins Nirwana schubste. Diesmal musste es anders sein, ganz anders und sehr blutig! Vielleicht ging es nur darum. Blut! Unmengen von Blut! So viel, wie in ihrer Küche verteilt gewesen war. Wenn er erst das richtige Messer fand. Und Ohloff natürlich.
Als er sich gerade wieder von der Uhr abwenden wollte, sah er das Messer, das ihm vorgeschwebt hatte. Er hatte es wohl jedes Mal unbewusst registriert, wenn er die Uhr anschaute. Ein Dolch war es, er lag im unteren Teil des Schaufensters. Ein herrliches Stück, eine prachtvolle Arbeit. Die Klinge leicht gebogen und so spitz zulaufend, dass er unwillkürlich an eine Nadel dachte. Der Griff war vergoldet und mit drei Steinen besetzt. Edelsteine vermutlich.
Neben dem Dolch lag eine Scheide aus hellem, genarbtem Leder mit dünnen Riemen an beiden Enden. Die Riemen dienten wohl zur Befestigung am Arm oder am Bein, übermäßig lang waren sie nicht. Es war nirgendwo ein Preis zu sehen. Alle Sachen im Fenster waren mit einem Preis ausgezeichnet, nur der Dolch nicht. Hoffentlich lag er nicht nur zur Dekoration im Fenster. Er musste ihn haben, um jeden Preis.
Als sein Dienst am Mittwochmorgen zu Ende war, brachte er den Hund zurück und fuhr noch einmal zum Einkaufszentrum. Fast eine Stunde musste er warten, ehe die einzelnen Läden öffneten. Zuerst der Supermarkt im Untergeschoss. Er nutzte die Zeit, um ein paar Dosensuppen, ein Brot und etwas abgepackten Aufschnitt einzukaufen, obwohl alles viel teurer war als in dem Laden, in dem er normalerweise seine Lebensmittel besorgte.
Dann nahm er ausnahmsweise die Rolltreppe, um zum Juweliergeschäft zu kommen. Ein junger Mann war im Laden, piekfein im grauen Anzug mit weißem Hemd und dezent gemusterter Krawatte. Auch der Ton war piekfein.
«Kann ich Ihnen helfen?» Und zwischen den Worten klang an: Mach bloß, dass du rauskommst, du Penner!
Merkel dachte sofort an seinen Schwiegersohn, der gleiche Typ, Arroganz und Selbstgefälligkeit mit dem Rasierwasser in die Wangen
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