Merkels Tochter. Sonderausgabe.
wären ihm lieber gewesen, aber die konnte er sich nicht beschaffen. Doch ein Strick erschien ihm so profan. Ein Dolch für fünftausend Mark, da brauchte er etwas Stilvolleres.
Auf dem Heimweg hielt er noch einmal an einem Fachgeschäft für Heimtextilien und kaufte vier Meter Seidenschnur. Der Verkäuferin erzählte er, dass seine Tochter die Schnur für ihre neuen Gardinen brauche. Er hatte seit seiner Entlassung aus der Haft nicht mehr so viel mit fremden Leuten geredet wie an diesem Morgen.
31. Kapitel
Er fuhr nur heim, um das Rad abzustellen. Ging in sein Zimmer hinauf, schnitt die Seidenschnur in kürzere Stücke und entfernte die Goldfolie von der Scheide. Zuerst band er sich die Riemen um den rechten Oberschenkel. So wäre es ideal gewesen, der Dolch griffbereit neben der rechten Hand. Aber mit dem Ding über der Hose konnte er nicht durch die Stadt laufen. So band er die Scheide um den linken Oberarm und zog eine leichte, aber weit geschnittene Jacke darüber. Das war auch wegen der Jackentaschen praktisch. Er steckte noch zwei belegte Brote ein und ging zur Straßenbahn.
Doch auch an diesem Mittwoch wartete er vergeblich vor Ohloffs Wohnung, und am nächsten Tag erging es ihm nicht besser. Da hielt er sogar nur bis mittags durch. Er war zum Umfallen müde und hätte beinahe überhört, dass zwei Männer die Treppe heraufkamen. Heinen und noch einer, den er eine gute Woche zuvor durch ihr Blut hatte laufen sehen. Im letzten Moment schaffte er es auf Zehenspitzen hinauf ins vierte Stockwerk, hörte von dort aus zu, wie sie an Ohloffs Tür klingelten, klopften und ihren üblichen Spruch aufsagten. «Öffnen Sie, Polizei.»
Er war maßlos enttäuscht. Er hatte den Wettlauf gegen die Zeit und gegen seine einstigen Kollegen verloren. Nachdem die beiden Männer das Haus wieder verlassen hatten, schlich er nach unten wie ein geprügelter Hund. Durch einen Spalt in der Haustür vergewisserte er sich, dass von Heinen und dem anderen nichts mehr zu sehen war. Dann ging er zur Straßenbahnhaltestelle.
Schon auf der Heimfahrt wäre er beinahe eingeschlafen. In seinem Zimmer angekommen, legte er sich so wie er war aufs Bett.
Im nächsten Augenblick war jede Spur von Müdigkeit verflogen. Die Knochen taten ihm noch weh, und sein Schädel dröhnte. Aber neben dem Dröhnen war noch etwas, das ihm zuflüsterte, dass noch nicht alles verloren war, dass Kurt und seine ach so klugen Männer auch nicht schlauer waren als er, wenn sie Ohloff in seiner Wohnung suchten.
Er nahm eine Dusche, die ihn ein wenig erfrischte, und dann noch einmal die Straßenbahn, weil es sonst von der Zeit her zu knapp geworden wäre. Den Dolch ließ er in seinem Zimmer zurück.
Eine halbe Stunde später betrat er Kurts Büro. Kurt war überrascht, ihn zu sehen. Und sehr verstimmt war er. Am Dienstag war Irenes Leiche freigegeben worden, Brandes hatte sich bereits um die Formalitäten der Beerdigung gekümmert und war so nett gewesen, Agnes zu verständigen.
«Nächsten Montag», sagte Kurt in sehr kühlem und gereiztem Ton. «Trifft sich gut, nicht wahr? Dein freier Tag, und die halbe Stunde auf dem Friedhof wirst du ihr wohl noch opfern können. Länger dauert es bestimmt nicht, es gibt anschließend keine Trauerfeier. Und jetzt wüsste ich gerne, wo du warst in den letzten Tagen. Heinen war zweimal bei deiner Wohnung, jedes Mal umsonst.»
«Ich kann ja nicht immer in meinem Zimmer hocken», erwiderte Merkel. «Da fällt mir die Decke auf den Kopf. Und mein Bett, wenn ich’s nur sehe, habe ich das Gefühl, verrückt zu werden. Es ist nicht so, wie du denkst, wirklich nicht. Ich gehe halt auf meine Weise damit um, fahr durch die Gegend, klappre Friedhöfe ab und versuch mich darauf einzustellen, dass ich in Zukunft nur noch auf einen Friedhof gehen kann. Was gab es denn so dringend?»
«Wir wissen jetzt, wie Irenes Freund heißt», erklärte Kurt, in keiner Weise besänftigt von seiner Erklärung. «Eigentlich müsstest du ihn kennen, sehr gut sogar, du hast sieben Jahre lang eine Zelle mit ihm geteilt, Hein.»
Merkel war angenehm überrascht. Dass Kurt es ihm auf dem Serviertablett anbot, hatte er nicht erwartet, sich darauf eingestellt, es ihm mühsam aus der Nase ziehen zu müssen. Sein Erstaunen war perfekt gespielt. «Ohloff? Wie kommst du denn auf den? Er ist ein Bekannter von mir und hat eine feste Freundin, in die er ganz verschossen ist. Irenes Freund ist er garantiert nicht.»
«So hat er sich aber der Nachbarin vorgestellt»,
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