Merkels Tochter. Sonderausgabe.
von der Gegensprechanlage oder dem slawischen Akzent. Und ganz flüchtig dachte er, dass auch Zuckertäubchen am vergangenen Mittwoch bei Irene gewesen sein könnte. Dieser Anruf, die Worte über einen Mistkerl und dass sie es genau wissen wollte. Durchaus möglich, dass Ohloffs Freundin sie angerufen hatte, um ihr zu erzählen, dass Ohloff zwei Eisen im Feuer hielt. Aber den Gedanken verwarf er wieder, Natascha Parlov hatte garantiert ein eigenes Telefon.
«Ich bin ein Freund von Ohloff», sagte er, «und muss ihn dringend sprechen. Würden Sie ihn bitte runterschicken?»
«Warum?», wollte Natascha Parlov wissen.
«Sagen Sie ihm», verlangte er, «dass in der nächsten halben Stunde ein paar Kollegen von Hein auftauchen werden. Haben Sie das verstanden? Kollegen von Hein. Dann weiß er, worum es geht. Ich glaube, er legt keinen Wert darauf, denen über den Weg zu laufen. MUSS auch nicht sein. Ich warte hier unten auf ihn.»
Gut gemacht. Er war ein bisschen stolz auf sich, dabei war ihm die Idee erst kurz vorher in den Sinn gekommen. Er hoffte nur, dass die Frau alles verstanden hatte.
Einen Moment lang war es still. Dann meldete sie sich wieder. «Er kommt.»
Als Ohloff hinter der Glastür des Hauseingangs auftauchte, fühlte Merkel erneut sein Herz schlagen, nicht heftig, eher bedächtig, als wolle es ihm zeigen, dass es sich an seinem Platz befand. Ohloff sah schlimm aus, als hätte er ein paar Tage lang nur gesoffen, vielleicht hatte er. Er wirkte so unsicher, gehetzt wie ein Tier, dem die Meute dicht auf den Fersen war. Allein die Art, wie er sich umschaute, als er ins Freie trat, so schnell und nach allen Seiten, als hätte er einen Rotor im Genick. Und das Flackern in den Augen, blanke Panik.
Beide Hände in den Hosentaschen, kam er auf Merkel zu, versuchte zu grinsen, was ihm nicht gelang. «Hein, das ist aber ’ne Überraschung. Mit dir habe ich hier nicht gerechnet. Wie hast du mich denn gefunden?» Die Stimme klang schleppend.
«Hör bloß auf», sagte Merkel und winkte ab. «Die halbe Stadt hab ich nach dir abgesucht. Ein ehemaliger Kollege von dir hat mir den Tipp gegeben. Einen schönen Gruß übrigens, du sollst dich bei Gelegenheit im Büro melden, sonst kriegst du dein Geld nicht. Ich fürchte nur, die Gelegenheit kriegst du so schnell nicht.»
Er ließ Ohloff gar nicht erst zu Wort kommen, sprach gedrängt weiter, deutete mit dem Kopf zur Straße. «Ich habe dein Auto da hinten gesehen und mich gewundert. Die Bullen müssen mit Scheuklappen durch die Stadt fahren. Wenn es nicht solche Schlafmützen gäbe bei denen, wärst du längst auf Nummer sicher. Die Fahndung läuft auf Hochtoren, haben sie mir jedenfalls erzählt. Wollten natürlich auch wissen, ob ich eine Ahnung habe, wo sie dich finden können. Wir fahren am besten gleich los, bevor hier noch einer vorbeifährt, der Augen im Kopf hat. Ich habe ein Plätzchen, wo dich erst mal keiner sucht.»
Ohloff mimte den Ahnungslosen. «Wozu denn, Hein? Was ist denn überhaupt los?»
Merkel verdrehte mit eiserner Selbstbeherrschung die Augen. «Habe ich mir gedacht, du weißt es noch gar nicht, was?» Er machte eine winzige Pause, gerade lang genug, um einmal tief durchzuatmen. Es kostete ihn Mühe, nicht gleich mit der Hand unter die Jacke zu greifen. Aber so hätte er kaum eine Chance gehabt gegen Ohloff.
Es dauerte schon viel zu lange. Ohloffs misstrauischer Blick gefiel ihm nicht. Er atmete noch einmal tief durch, dämpfte die Stimme ein wenig und sprach in etwas ruhigerem Ton weiter: «Irene ist tot, erstochen worden von einem Idioten, der nicht lesen und schreiben kann. Weiß nicht, ob sie dir mal von ihm erzählt hat. Ziriak heißt er. Ich hab meinen Exkollegen den Tipp gegeben, und zu Anfang waren sie sicher, dass sie den Richtigen haben. Aber jetzt haben sie plötzlich Zweifel und schießen sich auf dich ein. Angeblich wollen sie nur mal mir dir reden. Das erzählen sie immer.»
Er wunderte sich, wie überzeugend er das bringen konnte. Ohloff war einen knappen Meter vor ihm stehen geblieben, starrte ihn an, den Mund ein Stück offen vor Entsetzen.
«Jetzt komm schon», drängte er, «du musst weg. Wenn ich dich gefunden habe, finden sie dich auch. Dann hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt, und dein Zuckertäubchen muss sich einen neuen suchen»
Da endlich setzte Ohloff sich in Bewegung. Immer noch beide Hände in den Hosentaschen, versuchte er, irgendetwas zu erklären, das sich scheinbar nicht so einfach erklären
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