Merlin und der Zauberspiegel
schicken. Selbst
wenn ich nicht selbst durch den Spiegel reisen kann, bietet er mir ein Fenster zur Außenwelt.« Sein Gesicht nahm wieder den
ernsten Ausdruck an. »Und wenigstens für einen Moment gab er mir eine Chance zu fliehen.«
Ein Schauder rann durch meinen Körper. »Der Schlüssel.«
»Ja. Er ist – äh, war – als Einziger stark genug Nimues Bann zu brechen.« Er blies sich ein paar Barthaare von den Lippen.
»Ich erinnerte mich, dass er im Moor versteckt war. Deshalb schickte ich Artus aus ihn zu finden und zurückzubringen. Als
die Hexe das erfuhr, erkanntesie, dass sie den Schlüssel zuerst finden musste. Deshalb ging auch sie in die Nebel. Zweifellos hat sie im Moor das Unterste
zuoberst gekehrt, um ihn zu finden. Sie hat sogar dich hineingelockt, damit du ihr hilfst – und dabei unsere Geschichte verändert.«
»Dann hast du also in meinem Alter nicht diese Zeit im verhexten Moor verbracht?«
»Du meine Güte, nein, mein Junge.« Er verzog das Gesicht. »Sie hat wirklich ein schreckliches Chaos angerichtet.«
»Ich bin es, der das Chaos angerichtet hat!« Ich konnte kaum meinen Zorn bezwingen. »Jetzt verstehe ich es. Sie hat mich überlistet,
genau wie dich. Sie wusste, dass der Schlüssel nur einmal benutzt werden konnte. Und obwohl sie damit rechnete, dass ich ihn
gegen die Blutschlinge gebrauchen würde und nicht, um die Moorghule zu befreien, hat sie dennoch erreicht, was sie wollte.«
Aus meiner Kehle kam ein Laut, der halb Knurren, halb Schluchzen war. »Indem ich den Schlüssel in der Vergangenheit gebrauchte,
habe ich dein Schicksal, mein eigenes Schicksal in der Zukunft besiegelt. Nimue sagte es, bevor sie verschwand:
Du hast dich selbst ins Verderben gestürzt.
Das sagte sie zu mir! Und sie hatte Recht! Mehr, als ich je ahnen konnte.«
»Wenigstens«, sagte der Alte, »hast du dich gegen sie gewehrt.«
Niedergeschlagen ließ ich den Kopf hängen. »Und was hat das genützt? Es war genau, was sie brauchte, um sich zu behaupten.«
Ich musterte den Alten scharf. »Und was nützt es, dass du Artus alle diese hohen Ideale lehrst – wenn du bereits weißt, dass
sein Königreich am Ende untergehenwird? Dass er nie erleben wird, wie diese Ideale sich durchsetzen?«
Der Zauberer drückte einen Buchenzweig, während er mich anschaute. Als er dann redete, klang seine Stimme sanft. »Was es nützt?
Das kann ich nicht sagen. Das weiß niemand.«
Ich zuckte die Schultern. »Das dachte ich mir. Lauter gute Absichten, nicht mehr wert als eine Hand voll Staub.«
»Lass mich ausreden.« Seine Augen leuchteten wieder. »Da ist noch etwas: Ein Reich, das im Lande untergeht, kann immer noch
in den Herzen weiterleben.« Er streckte den Rücken und schien größer zu werden, während ich ihn betrachtete. »Und ein Leben
– ob das eines Zauberers oder eines Königs, eines Dichters oder eines Gärtners, einer Näherin oder eines Schmieds – wird nicht
nach seiner Länge bewertet, sondern nach dem Gewicht seiner Taten und der Kraft seiner Träume.«
Gedankenverloren schaute ich über die glitzernden Facetten, die uns umgaben. »Träume können dich nicht befreien.«
Seine so tief gerunzelte Hand griff herüber und umfasste meinen Unterarm. »Doch, mein Junge, das können sie.« Er schaute mich
nicht an, sondern durch mich hindurch auf etwas in weiter Ferne. »Ganz bestimmt können sie das.«
Ich betrachtete sein Gesicht: die dunklen Augen, fast lachend und fast weinend zugleich; der große Mund, so alt und doch so
jung; die gefurchte Stirn, von Gedanken und Erfahrungen gezeichnet, die ich noch nicht einmal ansatzweise ausloten konnte;
und natürlich der lange Bart – stellenweisewirr und überall leuchtend. Doch trotz allem, was mich in diesem Gesicht hoffen ließ, war ich immer noch niedergeschlagen.
»Merk dir auch das, junger Zauberer«, sagte er gütig. »Alles, was ich meinen Schüler Artus gelehrt habe und lehren werde,
läuft darauf hinaus: Finde dein wahres Ich, dein wahres Bild, und du wirst dir das größere Wohl erschließen – die höhere Macht,
die Leben in alle Dinge atmet. Ganz gewiss! Und auch wenn du dich in deiner Zeit und an deinem Ort vielleicht nicht durchsetzt,
werden deine Anstrengungen nach außen fließen wie Wellen auf einem See. Angetrieben von diesem größeren Wohl können sie ferne
Küsten berühren und deren Bestimmung verändern, wenn deine Tage längst vergangen sind.«
»Aber Bestimmungen kann man nicht verändern«,
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