Merlin und die Feuerproben
Schulter tiefer in die Nadeln und versuchte wieder mich zu entspannen. Wenigstens ein bisschen zu ruhen. Die Zweifel,
die Fragen – so unbestimmt, dass ich sie noch nicht einmal in Worte fassen konnte – hinter mir zu lassen, die meinen Geist
reizten wie der Tannenzapfen die Haut.
Ich atmete tief ein. Der Tannenduft, süß und würzig, legte sich wie eine unsichtbare Decke über mich. Doch diese Decke war
nicht warm genug, um die kühle Nachtluft abzuhalten. Ich schauderte bei dem Gedanken, dass bald der erste Schnee in diesem
Wald fallen würde.
Wieder ein tiefer Atemzug. Normalerweise beruhigte mich Tannenduft sofort. Vielleicht erinnerte er mich an dieruhigeren Tage meiner Kindheit, lange bevor die Bruchstücke meines Lebens sich verschoben wie Flusskiesel unter meinen Füßen.
Damals war ich oft auf den Tisch geklettert, auf dem die Heilkräuter meiner Mutter lagen. Manchmal sah ich nur zu, wie sie
siebte und presste, während die wundervollen Aromen meine Lungen füllten. Doch manchmal mischte ich meine eigenen Kombinationen,
rührte die Farben und Formen zusammen, die mir gerade gefielen. Und immerzu – die Gerüche! Thymian. Buchenwurzel. Seetang.
Minze (so stark, dass mir bei einer Nase voll die Augen übergingen und die Kopfhaut prickelte). Lavendel. Senfkörner, frisch
von der Wiese. Dill – von dem ich immer niesen musste. Und natürlich die Tannennadeln. Am liebsten zerrieb ich sie, so dass
meine Finger noch stundenlang wie ein Tannenzweig rochen.
Warum halfen sie mir dann heute Nacht so wenig? Sie piksten mich nur in die Schultern, den Rücken und die Beine wie tausend
kleine Dolche. Ich rollte mich zu einem Ball zusammen und versuchte erneut mich zu entspannen.
Etwas stieß mich mitten in den Rücken. Zweifellos Rhias Fuß. Vielleicht konnte sie auch nicht schlafen.
Wieder ein Stoß. »Rhia«, murmelte ich und machte mir nicht die Mühe, mich umzudrehen. »Reicht es nicht, dass du darauf bestanden
hast, mir zu folgen …« Ich hielt inne und verbesserte mich, bevor sie es tun konnte. »Mich zu führen, meine ich, obwohl das für unsere Mutter
alles nur noch schlimmer macht? Du musst nicht auch noch herüberkommen und mich treten.«
Der nächste Stoß – diesmal fester. »Schon gut, schon gut«, beschwichtigte ich sie. »Ich weiß, du hast versprochenan der Grenze von Urnaldas Reich umzukehren. Und, ja, ich war einverstanden! Aber nur, weil du mir einen halben Tag oder mehr
einsparen kannst, und nicht, damit du mich die ganze Nacht wach hältst!«
Als ich den nächsten Tritt spürte, fuhr ich herum und packte wütend –
Einen Igel. Kaum größer als meine Faust, rollte er sich noch fester zusammen und verbarg sein Gesicht in den Stacheln. Verlegen
grinste ich. Armer kleiner Kerl! Man konnte sehen, dass er sich fürchtete. Vermutlich fror er auch.
Ich wog den stachligen Ball in der Hand. Obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, erkannte ich die dunklere Zeichnung eines
Männchens. Wahrscheinlich nicht älter als ein paar Monate. Der kleine Bursche hatte sich vielleicht verlaufen und war von
seiner Familie getrennt. Oder er fror so, dass ihm die Wärme meines Rückens wichtiger war als alle Vorsicht.
Sanft streichelte ich ihm den Rücken. Im vergangenen Jahr hatte ich zwar viel über die Sprache der Bäume gelernt (vom einfachen
Zischen der Buchen war ich längst so weit fortgeschritten, dass ich mich mit einer Ulme oder sogar einer Eiche verständigen
konnte), aber über die Sprache der Tiere wusste ich so gut wie nichts. Immerhin brachte ich ein pfeifendes
Jik-a-lik, Jik-a-lik
zustande, das ich einmal von einer Igelmutter gehört hatte, die ihrer Brut etwas vorsang.
Während ich den Ball weiter streichelte, entrollte er sich langsam. Zuerst kamen die ledrigen Polster der Hinterfüße zum Vorschein,
keines größer als mein Daumennagel. Dann die Vorderfüße. Dann der Bauch, der schwoll wie eine dunkle Blase im Schlamm. Schließlich
zeigte sichein Auge, dann das andere, schwärzer als die Nachtschatten um uns herum. Zuletzt kam die Nase und schnüffelte an meinem Daumen.
Als ich kräftiger streichelte, stieß der Igel einen winzigen kehligen Seufzer aus.
Rhia würde dieses kleine Geschöpf gefallen. Selbst wenn ich sie seinetwegen weckte – und meine eigene Torheit eingestand.
Ich konnte schon ihr glockengleiches Lachen hören, wenn ich ihr erzählte, dass ich den Igel mit ihrem Fuß verwechselt hatte.
Ich setzte mich auf meinem
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